Die Erfindung des “Plattenspielers”

Thomas Meinecke im Gespräch mit Christoph Gurk

Zwei Turntables, eine Kamera mit Beamer, zwei Mikros, eine Leinwand. So lautet die Bühnenanweisung für die Reihe “Plattenspieler”. Seit nunmehr 10 Jahren bittet Thomas Meinecke wechselnde Gäste ins HAU Hebbel am Ufer zum Gespräch über Musik, ihre kulturellen Voraussetzungen und ihre visuellen Ausgestaltungen. Wie die Idee für das erfolgreiche Format entstand, schildert Meinecke in einem 2012 geführten Interview mit dem damaligen HAU Musik-Kurator Christoph Gurk.

Christoph Gurk: Wie empfindest du denn die Situation, wenn du “Plattenspieler” im HAU machst? Was war für dich überhaupt die Motivation, dieses Veranstaltungsformat, das seit Jahren erfolgreich am HAU und mittlerweile an anderen Häusern läuft, für das Theater zu erfinden?

Thomas Meinecke: Der Prototyp für diese Reihe entstand bei einer dieser Theorieveranstaltungen im HAU1. Da hat, nur um einen Eindruck von dem Kontext zu geben, Angela Richter einen Text von Slavoj Žižek szenisch umgesetzt, bevor ich an der Reihe war. Nach mir brachte René Pollesch einen Essay von Donna Haraway auf die Bühne. Merkwürdigerweise bespielten Angela Richter und René Pollesch das Foyer. Ich kam gemeinsam mit Jan Joswig, damals Moderedakteur bei de:bug, einem Magazin für elektronische Musik und benachbarte Lebensaspekte, auf der großen Bühne zum Einsatz. Dort dachten wir öffentlich gemeinsam darüber nach, warum und inwiefern Schallplattenhüllen meistens Typen abbilden, die sich in der Musik des entsprechenden Tonträgers wiederfinden lassen. Lässt sich ihr anhören, dass sie von Leuten gemacht wird, die aus Gründen einer kulturellen Präferenz eine ganz bestimmte Frisur tragen – wie auf dem Umschlag abgebildet?

Gurk: Es geht also um die Frage, ob auch Musik lange Haare haben kann?

Meinecke: Genau. Das hat Matthias Lilienthal so gut gefallen, dass er mich gefragt hat, ob ich mir solche Gespräche nicht auch als Reihe mit wechselnden Gesprächspartnern vorstellen kann. Moderator und Gast spielen sich gegenseitig Platten vor, unterhalten sich dann nicht nur über Musik, sondern auch ihrer Relation zum Artwork. Als jemand, der entweder im Club für die Tanzfläche oder im Radio für Leute, die man als Moderator nie zu sehen bekommt, fand ich diesen dritten Weg, das im Theater zu machen, sehr reizvoll. Wir sitzen vor dem Publikum seitlich vorne auf dem Parkett, mitten in einem schwarzen Loch. Der Spot richtet sich auf unseren Arbeitsplatz. Eine fest installierte Kamera filmt die Plattenhüllen ab, aber nicht uns, und wirft sie als Projektion auf eine Leinwand. Die Hauptsache auf der Bühne ist das Cover – dann kommt die Musik.

Gurk: Eine klassische Laborsituation.

Meinecke: Man weiß immer: Wir sitzen im Theater. Das Publikum schaut und hört gespannt zu. Es ist aber auch kein Problem, wenn jemand aufsteht und sich zwischendurch im Foyer ein Getränk holt. Es ist eine magische Geschichte. Wie wir da so sitzen, wirken ein wenig wie eine Erscheinung und legen Plattencover wie Karten bei einem Spiel auf den Tisch und unter die Linse. Mir gefällt es, dass selbst noch das Aufsetzen der Nadel und das dann entstehende Knistern perfomativ werden. Die Leute bringen manchmal Tonträger mit, die sie auf einer Baustelle gefunden haben oder die auf einer Party fast zertrampelt worden ist. Das hört man, und auch in diesem Sinne wird die Schallplatte so zum “Record”, zu einem Speicher, zu einem Datenträger, der nicht nur Musik mit ihrer Geschichte, sondern auch das Leben, das ihre Besitzer mit ihr verbringen, in sich aufgenommen hat.

Gurk: Einerseits ist “Plattenspieler” eine zu Theater geronnene Radiosendung. Du hast bekanntlich eine lange Geschichte als Moderator beim Zündfunk in München. Wie bei einem gläsernen Studio schauen die Leute zu, wie so eine Radioshow gemacht wird. Andererseits kommt der analytische Aspekt hinzu, indem kulturelle Artefakte unters Mikroskop gelegt werden. 

Meinecke: Mich freut, dass wir sogar auf eine Zoomfunktion zugreifen können. Selbst die Fingernägel der Leute bleiben dem Blick der Kamera nicht verborgen. Das alles vor dem Hintergrund, dass ich die Gäste oft nicht kenne. Im Fall von Julia Hummer [...] gab es im Vorfeld der Veranstaltung nur einen nächtlichen Chat auf Facebook. Da kommt das interaktive Psychoelement dieses Formats ins Spiel. Man weiß nicht genau, welche Schallplatten die jeweilige Person mitbringen wird. Ich überlege mir zwar, was Julia Hummer interessieren könnte, das heißt aber nicht unbedingt, dass sie darüber nachdenkt, was mich ansprechen wird. Die legt vielleicht einfach ihre Platten auf den Tisch. Und ich versuche, mich darauf einzustellen. Insofern verstehe ich mich als Host, der aber auch im Laufe des Abends eine Flasche Wein wegtrinkt. Was dann passiert, ist nicht vorhersehbar und wohl auch ein Grund für die sogenannten Erfolge [...]. Was wird zwischen diesen beiden Personen, Host und Gast, auf der Bühne geschehen?

Gurk: Da ist also eine Dynamik der Projektionen am Werk, die zwei unbekannte Personen voneinander haben.

Meinecke: Man gibt sich auch eine Blöße, wenn man einer wildfremden Person seine Platten vorspielt. Ich bin auf der Bühne als der “Junge” markiert, der seine Lieblingsspielzeuge herzeigt - und dafür schäme ich mich natürlich.  Ich sitze da einfach so als “Nerd”. Das alles sind Aspekte dieser Veranstaltung, die im Radio nicht so sehr erwünscht sind. Da soll keiner am Ende der Sendung betrunken sein oder sich auf komische Sticheleien mit seinen Gesprächsgästen einlassen.

Gurk: Es ist auch schwer vorstellbar, dass im Radio eine Sendung zustande kommt wie die legendäre Folge von “Plattenspieler”, bei der Vaginal Davis, eine Transgender-Performerin aus dem Umfeld der Theatergruppe Cheap, aufgetreten ist. Die hat deutlich versucht, dich in deinem Selbstverständnis als ein über sich selbst aufgeklärter Heteronormativer aus der Reserve zu locken. 

Meinecke: Sie hat ein Lied über meinen Schwanz gesungen.

Gurk: Das war für mich eine ungemein gelungene Situation, weil hier genau die Form von Kontingenz produziert wurde, die andere kulturelle Kontexte um jeden Preis vermeiden. 

Meinecke: So was muss aber im Radio auch nicht passieren. Da bin ich wirklich der Typ, der die Bestellnummer der Platte, die gerade läuft, und am liebsten noch die Stückzahl der etwa auf 300 Exemplare limitierten Auflage, in der sie auf Vinyl erschienen ist, ins Mikrofon spricht. Bei meiner Reihe im HAU geht es nicht um die Weitergabe von Informationen, sondern viel mehr ums Ahnen und ums Lieben und ums Hassen. Also um große Gefühle, die genau deshalb so komische Situationen produzieren. Da ist es eventuell ganz gut, erst mal drei, vier Gläser Wein zu trinken. Es kann aber auch geschehen, dass ein Gast wie Justus Köhnke darauf besteht, nüchtern zu bleiben. Der ist in einer Folge von “Plattenspieler” auf rund 17 Tassen Kaffee gekommen.

Gurk: Wie steht es mit der rastlosen Stille, die hin und wieder bei “Plattenspieler” herrscht und Teil der Dramaturgie ist? Solche Sendelöcher sind im Radio, soweit ich weiß, absolutes Tabu. Ich erinnere mich, dass Jochen Distelmeyer, der ehemalige Kopf der Band Blumfeld, bei einer Livesendung für den WDR aus Protest gegen den Irakkrieg mutwillig für eine Minute nicht gespielt hat und das im Studio anwesende Publikum bat, keinen Mucks zu machen. Hinterher wurde ihm mitgeteilt, dass er sich keine Hoffnung machen darf, jemals wieder zu einer Sendung eingeladen zu werden.

Meinecke: Das geht im Radio gar nicht. Hält keiner aus. Schon ein Sendeloch von zehn Sekunden ist eine Katastrophe. Wir haben beim Zündfunk einmal eine der Kompositionen von John Cage aufgelegt, die nur aus Stille besteht. Wenn man das von Platte abspielt, hört man immer noch das Rumpeln der Nadel. Das geht dann schon. Würde man das gleiche Stück von einer CD laufen lassen, wäre da ein Loch – das im Theaterraum, unter seinen Bedingungen, aber eine gewisse Schönheit zeitigt.

Auszug aus dem Interview “Extraraum” erschienen in “Import / Export. Arbeitsbuch zum HAU Berlin” (2012). Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Theater der Zeit.