Keine Ausreden mehr!

Natasha A. Kelly im Interview

Wenn in Deutschland über Feminismus gesprochen wird, bleibt die Schwarze Perspektive mit all ihren Errungenschaften meistens außen vor, sagt die Autorin, Kuratorin und Filmemacherin Natasha A. Kelly. In ”Schwarzer Feminismus” hat sie deshalb Grundlagentexte zusammengestellt, beginnend mit einer Rede der US-amerikanischen Abolitionistin, Frauenrechtlerin und Vordenkerin des intersektionalen Konzepts Sojourner Truth. Die Texte von Kimberlé Crenshaw, bell hooks, Audre Lorde und anderen erscheinen erstmals in deutscher Übersetzung. Im Interview erklärt Kelly, warum Feminismus sich nicht ohne Rassismus denken lässt und was Schwarze Autorinnen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute geleistet haben.


Natasha, du forschst und arbeitest schon lange zu afrodeutscher Kultur und Theorie. Woher kam jetzt der Ansatz, eine Sammlung von Texten Schwarzer Autorinnen aus den USA herauszubringen?
Afrodeutsche Geschichte ist Teil einer afrodiasporischen Geschichte, zu der auch afroamerikanische Geschichte gehört. Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Schwarze feministische Theoriebildung gilt aber für den gesamten sogenannten Globalen Norden, schließt also beide Communities mit ein. 
Es kam ursprünglich zu diesem Projekt, weil mich der Unrast Verlag gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, Übersetzungen von Originaltexten gesammelt herauszugeben. Ich fand die Idee sehr gut, da ich der Meinung bin, dass in feministischen Diskursen in Deutschland die Schwarze feministische Perspektive mit all ihren Errungenschaften komplett außen vor gelassen wird. Gerade wenn es um Intersektionalität geht –  das Konzept ist ja in der Schwarzen Frauenbewegung entstanden –, in der Diskussion in Deutschland wird beides aber voneinander abgekoppelt. Ich wollte mit der Auswahl der Texte zeigen, woher das Konzept der Intersektionalität kommt und dass es so alt ist wie die Schwarze Frauenbewegung selbst.
Das Buch beginnt mit einem Text von Sojourner Truth, einer Schwarzen Freiheitskämpferin, die in einer ihrer Reden den Unterschied deutlich macht, dass sie sowohl Schwarz als auch eine Frau ist. Und seitdem, das war Mitte des 19. Jahrhunderts, haben sich immer wieder Schwarze Feministinnen auf Sojourner Truth berufen und dieses Konzept weiterentwickelt. Kimberlé Crenshaw hat es zuerst als Intersektionalität bezeichnet, in einem Text, der auch im Buch enthalten ist. Mir war wichtig, die Geschichte aufzuzeigen, von den ersten Überlegungen des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Gebrauch des Begriffs. Die Texte bauen also historisch aufeinander auf.

“Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Die Texte sind auf Deutsch übersetzt und nicht mehr aus dem feministischen Diskurs, den wir maßgeblich mitgeprägt haben, wegzudenken.”

Auch für die wissenschaftliche oder theoretische Arbeit mit den Quelltexten bedeutet das einen wichtigen Schritt, denn die Texte lagen ja bisher nicht in der deutschen Übersetzung vor.
Definitiv, das war auf jeden Fall ein Grund, weshalb ich sofort gesagt habe, dass ich bei diesem Projekt mitmache. Es ist wichtig, die Texte in der deutschen Sprache vorliegen zu haben, um in wissenschaftlichen und politischen Diskursen die Stimmen der Schwarzen Frauen miteinzubeziehen. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Die Texte sind auf Deutsch übersetzt und nicht mehr aus dem feministischen Diskurs, den wir maßgeblich mitgeprägt haben, wegzudenken.

Bei einem Übersetzungsprojekt wie diesem seid ihr sicher oft an die Grenzen der deutschen Sprache gestoßen. Wieso, würdest du sagen, gibt es im Deutschen viel weniger Begriffe, um über Intersektionalität zu sprechen, wieso gibt es zum Beispiel keine zufriedenstellende Übersetzung eines genderneutralen Personalpronomen oder des Begriffs Race
Ich glaube, die deutsche Sprache ist sehr weiß und männlich-heteronormativ geprägt. In diesem Übersetzungsprojekt hat sich deutlich gezeigt, wo auf der sprachlichen Ebene die Herausforderungen liegen, gegen Diskriminierungen zu arbeiten. Ich meine hier Diskriminierungen aller Art, nicht nur rassistische, sondern auch sexistische. Die deutsche Sprache ist auch sehr ableistisch. Ich habe mit einem Team aus größtenteils Schwarzen Übersetzerinnen zusammengearbeitet, die sehr viel aus ihrer eigenen Praxis einbringen konnten, so dass letzten Endes klar wurde, dass schon das Übersetzen dieser Texte an sich ein feministischer Akt ist. Wir haben versucht, mit den unterschiedlichen Übersetzungsstrategien an den aktuellen Diskurs anzuschließen.
 

“Schon das Übersetzen dieser Texte ist ein feministischer Akt.” 

Wenn du sagst, dass die deutsche Sprache intersektionale Unterdrückung extrem reproduziert, gilt das für die englische Sprache weniger?
Ja, das liegt zum Beispiel daran, dass es nur einen Artikel gibt: A und the. Deutsch ist dagegen sehr durchdekliniert. Und: Die Dichter und Denker, die die deutsche Sprache geprägt haben, waren weiße Männer. 

Wie unterscheiden sich feministische Diskurse in Deutschland von denen in den USA?
Ich würde ganz klar sagen, dass der feministische Diskurs in Deutschland weiß dominiert ist. Race wird meistens nicht mitgedacht, obwohl Race und Gender ebenso wie Class und Ability nicht voneinander getrennt werden können. In Deutschland ist der Diskurs deshalb sehr eindimensional, die Kategorie Frau wird sehr homogen verhandelt. In den USA sind die Diskurse da deutlich weiter. Ich frage mich aber auch, warum das so ist, denn wir führen in den deutschen Frauenbewegungen im Grunde seit 30 Jahren dieselben Debatten, dass etwa Rassismus ein großes Problem auch unter Frauen ist. Weiße Feministinnen tun sich zum Teil noch immer sehr schwer, Feminismus als vielseitig zu verstehen. Denn es gibt nicht den einen Feminismus, es gibt viele unterschiedliche feministische Positionen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen müssen und auch können. Und ich hoffe, dass das Buch zu dieser Weiterentwicklung beiträgt.

Du schreibst in der Einleitung, dass sich die Autorinnen in deinem Buch selbst nicht unbedingt als Schwarze Feministinnen bezeichnen oder bezeichneten, einige lehnen oder lehnten diese Terminologie sogar ab. Warum ist das so? 
Weil es auch in den USA lange Zeit Debatten darüber gab, dass Feminismus etwas Weißes sei und daher von Schwarzen Frauen abgelehnt wurde. Deshalb wurde die Bewegung explizit als Schwarzer Feminismus bezeichnet. Dann wurde der Schwarze Feminismus kritisiert, er sei lediglich eine Reaktion auf den weißen Feminismus und das Konzept Womanism ist entstanden. Aber bell hooks bringt es da auf den Punkt: Es geht um das feministische Handeln und weniger um Labels. 
 

“Der feministische Diskurs in Deutschland ist weiß dominiert.” 

“Feminismus ist sehr bedrohlich für die meisten Schwarzen Menschen” heißt es im Text des Combahee River Collective.
Genau. Das liegt daran, dass Feminismus von weißen Frauen vereinnahmt und letzten Endes dazu eingesetzt wurde, die bestehende weiße Vorherrschaft zu stärken. Der Text von bell hooks fasst diese Entwicklung sehr gut zusammen. Zur Zeit der Befreiung der Versklavten haben Schwarze Frauen immer Hand in Hand mit Schwarzen Männern gearbeitet und hatten weiße Allies, vor allem weiße Frauen, die beispielsweise kein Wahlrecht hatten und sich unter anderem aus diesem Grund der Abolitionist-Bewegung angeschlossen haben, die sich für die Rechte aller einsetzte. Als Frauen in den USA 1920 ihr Wahlrecht bekommen hatten, wurde es den Schwarzen Frauen unter den Segregationsgesetzen von Jim Crow wieder aberkannt. Damit war es dann auch vorbei mit der Solidarität in der Frauenbewegung. Bis Anfang der 60er-Jahren hat es dann gedauert, bis Schwarze – Männer und Frauen – das Wahlrecht hatten. Das ist einer der Gründe, warum viele Schwarze Frauen sagen: Dann behaltet ihr mal euren Feminismus, damit identifizieren wir uns nicht. 

Verstehst du das Konzept der Identitätspolitik in Zeiten rechter Vereinnahmungen noch immer als ein linkes oder subversives?
Wie alles, was aus der Schwarzen Bewegung kam, ist auch dieses Konzept von Weißen gestohlen, vereinnahmt und missbraucht worden. Was identitäre Bewegungen heute machen, hat rein gar nichts mit Identitätspolitik in seinem ursprünglichen Sinn zu tun. Davon will ich mich ganz klar differenzieren. Identitätspolitik – also sich als Schwarz, Schwarze Frau, Schwarze Feministin etc. zu identifizieren – hat zur Befreiung der Schwarzen beigetragen. Denn auf diese Weise konnten wir den Fokus auf die eigene Unterdrückung lenken und einem politischen Handeln folgen, was aus dem Innern kam und aus der eigenen selbstbestimmten Identität entstand. In diesem Kontext stehe ich voll hinter Identitätspolitik. Was andere damit machen? Not my business. 
 

“Was identitäre Bewegungen heute machen, hat rein gar nichts mit Identitätspolitik in seinem ursprünglichen Sinn zu tun.”

Natasha A. Kelly

Schwarzer Feminismus

Buchpremiere mit Natasha A. Kelly und Emilia Roig (Gründerin & Geschäftsführerin Center for Intersectional Justice) in deutscher Sprache. Außerdem wird der Film “Sojourner“ von Cauleen Smith im englischen Original gezeigt.

Eintritt frei / Anmeldung bis zum 19.05.2019 unter tickets@hebbel-am-ufer.de / Nachträgliche Anmeldung ggf. an der Abendkasse

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Wie können wir dann identitären Bewegungen das Wasser abgraben? 
Genau das ist das Ziel dieses Buchs. Indem klargestellt wird, wovon wir reden, wenn wir über Identitätspolitik, Intersektionalität oder Diversity reden. Das sind alles Schwarze Konzepte, die weißgewaschen wurden. Aus identitären Kreisen habe ich schon mehrfach gehört, wie rassistisch ich angeblich bin, weil ich mich als Schwarze bezeichne. Das ist mangelndes Wissen. Mir ist außerdem wichtig, mich nicht mit den Strategien der Rechten zu beschäftigen, sondern meine eigene Geschichte zu erzählen, sie in Sprache und Form zu bringen, dass sie hier in Deutschland verstanden wird und weitererzählt werden kann. Denn Schwarzer Feminismus hat auch hierzulande eine lange Theorietradition.

Hast du eine besondere Leseempfehlung? Welche Schwarzen Autorinnen liegen dir besonders am Herzen?
Empfehlen würde ich alle Autorinnen im Kontext von ADEFRA (dem kulturpolitischen Forum für Schwarze Frauen in Deutschland, d. Red.), zum Beispiel Marion Kraft, Peggy Piesche oder Maisha Auma. Außerdem Schwarze Bücher, die im Orlanda Verlag erschienen sind. Und ganz wichtig sind die Werke von May Ayim. Es wird auch bald Grundlagentexte Teil II geben – aber dazu später mehr!


Interview: Annika Reith, (c) HAU Hebbel am Ufer 2019