Seit 2008

Plattenspieler

Zwei Turntables, eine Kamera mit Beamer, zwei Mikros, eine Leinwand. So lautet die Bühnenanweisung für die Reihe “Plattenspieler”. Thomas Meinecke lädt seit 2008 wechselnde Partner*innen zum Gespräch über Musik, ihre kulturellen Voraussetzungen, ihre visuellen Ausgestaltungen und die Geschichten, die man im Umgang mit ihr erleben kann. “Beim ‘Plattenspieler’ geht es nicht um Weitergabe von Wissen, sondern ums Ahnen und ums Lieben und ums Hassen. Also um große Gefühle, die genau deshalb komische Situationen produzieren”, erklärt Meinecke.

Termine

Weiter Reden!

Eine Fanpost zum 10. Geburtstag von Thomas Meineckes Gesprächsreihe “Plattenspieler” von Jacek Slaski 

Macht reden über Musik Sinn? Vermutlich nicht immer. Wenn Thomas Meinecke redet, schon. Seit zehn Jahren tut er das nun regelmäßig mit seinen Gästen beim “Plattenspieler” im HAU. Da sitzen dann zwei Menschen an einem Tisch am Bühnenrand, sie trinken, rauchen gelegentlich, legen Schallplatten auf, die Cover werden auf eine Leinwand projiziert, visuell stehen sie im Zentrum. Die Gespräche mit Musiker*innen, Produzent*innen, DJs, Künstler*innen, Labelbetreiber*innen, Journalist*innen und anderweitig interessanten Menschen, orientieren sich an der gespielten Musik, verteilen sich auf die Pausen zwischen den Stücken. Sie folgen mal musikkritischen Pfaden, mal biografischen, mal absurden.

Zwischen den Sprechenden entfacht sich so ein frei assoziierender über die etwa zwei Stunden Veranstaltungszeit andauernder Dialog. Gelegentlich eröffnen sich darin komplexe Bezüge zwischen Stilen, Künstler*innen und Szenen, die man so vorher kaum gedacht hätte. Plötzlich erscheinen Verbindungen zwischen Folkrock und Post-Punk plausibel oder zwischen James Brown und Detroit Techno. Gerade die vielen Gäste aus dem Elektronikbereich, für den Meinecke wohl eine Schwäche hat, ziehen weite historische Bögen. Der Footwork-Pionier Traxman schaffte es in der knappen Zeit eine eindrückliche Entwicklungsgeschichte afroamerikanischer Tanzmusik auf den Plattenteller zu bringen. 

Man erfährt von kryptischen Proto-Elektronik-Gruppen, die es auf zwei Singles gebracht haben oder wird genötigt, von Timbaland produzierten Früh-Neunziger-R’n’B in voller Maxi-Länge auszuhalten. Man hört alte Lieblingssongs und nimmt neue Lieblingssongs mit. Niemals werde ich DJ Acid Mariavergessen, die den Song “Who Needs Sleep Tonight” von Silicon Soul spielte. Ein erhebendes, euphorisches und zugleich melancholisches Stück, das die Techno-Veteranin gerne am Ende einer durchgefeierten Nacht auflegt.  

Beim “Plattenspieler” geht um Pop in all seinen Ausuferungen, wobei Pop auch Peter Brötzmanns Free Jazz, obskurer Appalachen-Folk des frühen 20. Jahrhunderts oder Henry Flynts Hillbilly-Avantgarde sein kann, den Meinecke auch nicht kannte und erst von der wohl halb so alten Laurel Halo vorgespielt bekam.  

Die Stoßrichtung geben die Gäste vor. Ein Abend mit der Schriftstellerin Helene Hegemann widmet sich obskuren französischen Beat-Chansons, mit dem Musiker und Labelbesitzer Maurice Summenging es in die Untergeschosse der Hamburger Post-Punk-Geschichte und mit dem Musikkurator vom Haus der Kulturen der Welt, Detlef Diederichsen, vornehmlich um Westcoast-Songwriter der Sechziger und Siebziger Jahre. Meineckes musikalische Reaktionen parieren, ergänzen, dekonstruieren, erlauben dennoch stets einen organischen Fluss.  

Selbst als eine von den revolutionären Sounds der Last Poets elektrisierte Lydia Lunch ihr Weinglas auf den Bühnenboden schmetterte, lächelte Meinecke freundlich und war die Ruhe selbst. Ohnehin scheint es so zu sein, dass es kaum etwas gibt, was ihn aus der Fassung bringen könnte und wenn es nicht gerade U2 oder Peter Gabriel sind, reagiert er auf jegliche ihm angetragene Musik mit Begeisterung oder zumindest profundem Interesse. Mit dem Free-Jazz-Pianisten Alexander von Schlippenbach entstand so eine innige Würdigung von Thelonius Monk, die Meinecke zu dem Bekenntnis veranlasste, Monk sei sein absoluter Lieblingsmusiker. Was Schlippenbach als eine Offensichtlichkeit hinnahm und ein sprödes “da haben sie sich nicht den Falschen ausgesucht”, verlauten ließ.

Antipathien stellte Meinecke hingegen am Abend mit demehemaligen Spex-Chefredakteur Torsten Groß klar, als letzterer ein Stück von Nick Cave anspielte – was Meinecke mit der Aussage quittierte, Cave wäre jemand, den alte, einsame Männer hören, die sich gerade auf dem Weg zum Wiener Zentralfriedhof befänden und mit denen könne er unmöglich etwas gemeinsam haben. Besonders schön fiel aber sein Urteil über das elegante Münchener Jazzlabel ECM aus, als er dem verdutzten ECM-Fan und Plattenlabelbetreiber Ramin Sadighi erklärte, ECM wäre unerträglich, schon allein weil die Bundesrepublik der 1980er-Jahre im Prinzip nur aus ECM-Veröffentlichungen, Filmen von Wim Wenders und Helmut Kohl bestanden habe. 

In ihrer Gesamtheit fließen diese Begegnungen, so spezifisch sie im Einzelnen sein mögen, zu einem großen Pop-Narrativ zusammen. Deshalb sollte die Reihe tatsächlich als Reihe und nicht als Ansammlung loser Einzeltermine begriffen werden.  

Angefangen hat der “Plattenspieler” auf Initiative des ehemaligen HAU-Intendanten Matthias Lilienthal, der Meinecke dazu einlud, bei einer Theorieveranstaltung, an der u.a. auch Slavoj Zizek und René Pollesch teilnahmen, über das Verhältnis von Musik und Cover-Artwork nachzudenken. Das tat der Autor, Musiker und DJ in dem er sich auf einem schmalen Grat bewegte und weder in stupider Fachsimpelei noch im abgehobenen Diskurs verebbte. Das ist die hohe Kunst von Meinecke, der sein enormes Popwissen mit rhetorischer Virtuosität verbindet. “Beim ‘Plattenspieler’ geht es nicht um Weitergabe von Wissen sondern ums Ahnen und ums Lieben und ums Hassen. Also um große Gefühle, die genau deshalb komische Situationen produzieren”, erklärt Meinecke. 

Die komische Situation, Pointen und Ironie sind Meineckes Mittel,die Kontext, Ästhetik, Geschichte und Referenz der behandelten Musiken anzureichern. Aus der Weite des Pop und der Nähe der persönlichen Anekdote, wird eine Erfahrung produziert, die im Zeitalter ausgeklügelter Algorithmen und totaler digitaler Verfügbarkeit sämtlicher jemals hervorgebrachter Musik, die in Vergessenheit geratene analoge Pop-Beeinflussung ersetzt, die einst ältere Geschwister und Freunde ausgeübt haben. Ihnen zuzuhören hat damals viel Sinn gemacht und genauso macht es heute immer noch Sinn, wenn man Thomas Meinecke und seinen Gästen zuhört. Alles Gute zum Jubiläum und redet weiter! 

Jacek Slaski, 1976 in Danzig geboren, seit 1985 in West-Berlin, ist Journalist und Redakteur beim Stadtmagazin tip Berlin. Texte von ihm erschienen in der Berliner Zeitung, Spex, Rolling Stone, Galore u.a.. Er war Kneipen-DJ, Übersetzer unbekannter Prosatexte, Fotoredakteur und Autor von Radiofeatures. Zwischen 2003 und 2012 war er Mitbetreiber des Kunstraums Zero Project in der Kreuzberger Köpenicker Straße.

Die Erfindung des “Plattenspielers”

Thomas Meinecke im Gespräch mit Christoph Gurk

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