“Collective Jumps” / “Pieces and Elements” / “Reflection”

Lektüre aus der Trilogie (2014–2019)

Eine Sammlung von Elena Basteri

Über einen Zeitraum von fünf Jahren zwischen 2014 und 2019 führte Isabelle Schad eine tiefgründige und vielschichtige Bewegungsrecherche über kollektive Körper durch, indem sie verschiedene Formen körperlicher Ko-Existenz und von Körper-Subjektivitäten choreografisch untersuchte. Diese Recherche manifestierte sich in drei Werken: “Collective Jumps” (2014, zusammen mit Laurent Goldring), “Pieces and Elements” (2016) und “Reflection” (2019).

Die Trilogie hätte im Juni im HAU1 und HAU2 zum ersten Mal zusammen gezeigt werden sollen. Aus bekannten Gründen wird das vorläufig nicht passieren können.

Eine Trilogie hat einen besonderen Charakter: Es handelt sich um einen zusammengehörigen Werkkörper, der wiederum aus drei einzelnen Werken besteht, die zwar durch Affinitäten und Resonanzen miteinander verbunden sind, aber zugleich auch genau durch ihre Verschiedenheit ihre Daseinsberechtigung finden. 

Die folgende Lektüre – eine edierte Sammlung von Interviews, die Isabelle Schad anlässlich jedes Stückes der Trilogie mit jeweils der Autorin Gabriele Wittman, der Tanzwissenschaftlerin Susanne Foellmer und mit mir selbst geführt hat – versucht diesen Charakter der Trilogie wiederzugeben:  Durch die Auswahl bestimmter Themen und das grafische Hervorheben bestimmter Begriffe wird Gemeinsamkeit und Resonanz in der Vielfalt zum Vorschein gebracht. Die Entscheidung, durch diese redaktionelle Geste die Trilogie auf HAU3000 vorübergehend zu “ersetzen”, folgt in erster Linie der ökologischen Logik, bereits vorhandenes Material anders zu präsentieren, ohne mit der Produktion von neuem Material auf den Notstand des Augenblicks zu reagieren. Es handelt sich außerdem um eine Entscheidung, die im Einklang damit steht, dass Isabelle Schad für jede Aufführung der Trilogie eine kleine Publikation mit Gastautor*innen herausgegeben hat. Die Choreografin bedient sich dabei des Mediums Text, um die Erfahrung der künstlerischen Arbeit zu begleiten und erweitern ­[1].

Im Anschluss an die drei Interviews gibt es einen poetischen Text von Przemek Kamiński – Choreograf und langjähriger Performer in den Stücken von Isabelle Schad –, der in der letzten Publikation für “Reflection” erschienen ist. Der Text, im Original auf Englisch, verflicht und verschmilzt die drei Teile der Trilogie und setzt sie so wieder zu einem zusammengehörigen Werkkörper zusammen.

[1] Vgl. hierzu auch die seit kurzem veröffentlichte Online-Publikation zu den Open Practice Sessions

Einführung in die Trilogie

Elena Basteri: “Reflection” ist der letzte Teil einer Trilogie über kollektive Körper, die 2014 mit “Collective Jumps” angefangen hat und 2016 mit “Pieces and Elements” weitergeführt wurde. Das Wort ‘Reflection’ enthält sowohl eine physische als auch philosophische Konnotation. Was ist “Reflection” für dich und wie unterscheidet sich dein neues Stück von den vorhergehenden?

Isabelle Schad: Das ist richtig, “Reflection” ist sowohl Spiegel als auch kritische Betrachtung von Realitäten und deren jeweiliger Wahrnehmung. Dabei spielt zum einen die Spiegelung von Bewegung eine große Rolle, zum anderen der (Blick)Winkel und die Perspektive, von der aus man etwas betrachtet. Der Begriff ‘Reflexion’ bedeutet vielerlei: Spiegelbild, Besinnung, Kontemplation, Widerschein, Abbild, Abglanz, Gedanke, Bedenken und auch Rückschau – mit meinem neuen Gruppenstück blicke ich in gewisser Weise auch auf die vorangegangenen beiden Arbeiten zurück. In “Collective Jumps” stand die Utopie der Gemeinschaft als (un)mögliches Gesellschaftsmodell im Mittelpunkt. Wir untersuchten Volkstänze nach ihren Anordnungen und ihren Strukturen. Verkettungen der Gliedmaßen, welche wie einzelne Performer*innen fungieren, ließen einen endlosen, monströsen Gruppenkörper zum Vorschein kommen. Bei “Pieces and Elements” war es die Analogie zur Natur, die uns dazu diente, Ordnungen zwischen Körpern und Körperteilen zu choreografieren, um sie zu einer Art kubistischer Landschaft werden zu lassen. Dabei wurde die Individualität des Einzelnen auf dessen spezifische Körperkonturen, -rhythmen und -eigenheiten zurückgeführt – Gesichter sieht das Publikum in diesem Stück kaum.

Bei “Reflection” nun erscheinen alle Performer*innen auch als Personen, die in ihrer Einzigartigkeit mit den anderen in Verbindung stehen. Jeder nimmt dabei im Verlauf des Stückes jede Rolle ein: die des Protagonisten, des Helfers, des Opfers oder des Anführers. Es entsteht ein komplexes System des ‘sich und einander Ablösens’, das Figurationen in stetigem Wandel hervorruft. Die Rollen der Performer*innen und ihre Bewegungsformen werden wiederholt und vervielfältigt, sodass das gesamte ‘Organ’ wie ein endlos fortlaufender Spiegelungsprozess erscheint, jede Bewegung in die des Nächsten übergeht, in etwa so wie bei einer Kettenreaktion. Die blockartigen Gefüge von “Collective Jumps”, und die Landschaften von “Pieces and Elements”, werden durch muskelstrangähnliche Gefüge ersetzt, innerhalb derer das Führen ein Folgen beinhaltet und umgekehrt. Die Einzigartigkeit des Subjekts sich und andere zu bewegen, treibende Kraft und Motor zu sein (oder einem Motor zu folgen), ist damit in den Mittelpunkt gerückt.

“Collective Jumps”, 2014

Gabriele Wittmann: Ein Thema der Recherche für “Collective Jumps” ist ‘Freiheit’. Was bedeutet es für dich?

Isabelle Schad: Das Thema begleitet mich schon seit längerer Zeit – insbesondere im Austausch mit anderen. ‘Freiheit’ ist ja ein übergroßer, fast schon illusorischer Begriff. In der Körperarbeit zeigt sich jedoch immer wieder, dass man tatsächlich an Erfahrungen herankommen kann, die Empfindungen von völliger Freiheit auslösen. Das passiert einerseits körperlich-subjektiv, für den einzelnen Menschen. Das passiert aber auch innerhalb einer Gruppe, die sich gemeinsam auf bestimmte Bewegungsprozesse einlässt. Dieses sinnlich-erfahrbare Empfinden ist aber nicht nur ein Innerliches. Die Frage ist vielmehr, wie das Innere sich im Äußeren ausdrückt, also welche Form(en) tatsächlich entstehen, und wie sie sichtbar werden.

GW: Du arbeitest seit vielen Jahren mit deinem Künstlerkollegen Laurent Goldring. Wie macht ihr zusammen innere körperliche Prozesse sichtbar? 

IS: Laurent Goldring brachte von Anfang an das Konzept des ‘Verstärkers’ in unsere Arbeit, der als Übergang zwischen der inneren und der äußeren Welt fungiert. Man braucht eine Art ‘Prothese’ als erste umhüllende äußere Schicht des Körpers – damit das Ganze wirklich zu einem Bild wird. Im Falle der Soloarbeiten “Unturtled” war das ein übergroßes Kostüm, bei “Der Bau” war es die Bühne selbst, also der Raum, der durch die Verbindung von Körper und Stoffen geschaffen wurde. Diesmal arbeiten wir mit der Gruppe selbst: mit ihrer Bewegung. Dabei bleiben die Gliedmaßen nackt und geraten dadurch in den Fokus. Sie schimmern gleichmäßig im Licht und werden zu einem neuen Körper, einem Kollektivkörper – oder sogar zu einer Maschine. 

GW: Du nutzt auch embryologische Wachstumsprozesse aus dem Body Mind Centering®. Haben diese mikroskopisch kleinen Bewegungsimpulse auch mit dem Thema ‘Freiheit’ zu tun? 

IS: Ja. Das erste ‘gleich sein’ der Zellen in der Morulla, also alles vor der Differenzierung der Zellen, bietet ein ungemein großes Potential, sich mit einer Entledigung von Hierarchien zu beschäftigen. In westlichen Industriegesellschaften haben wir so viele Hierarchien in unseren heutigen Körper eingeschrieben, etwa zwischen Armen und Beinen, oder Gesten der Hände und des Gesichtes. In afrikanischen oder asiatischen Kulturen spielen beispielsweise Ellenbogen und Knie eine viel bedeutendere Rolle als bei uns. Das bedeutet also: Wenn alle Körpersysteme zunächst aus ein und derselben Zellsubstanz stammen und prinzipiell erst einmal offen ist, welche Zelle zu welcher Schicht wird – Endoderm, Ektoderm oder Mesoderm – und dadurch auch, zu welchem Teil unseres Körpers sie wird, dann können wir in unserem heutigen Körper alle Hierarchien aufheben. Und können jedes Körperteil in ein Verhältnis zu jedem anderen Körperteil stellen.

GW: Kannst Du ein Beispiel geben?

IS: Nehmen wir das Element des ‘Einhakens’, das vom Volkstanz kommt und natürlich mit den Armen gemacht wird. Bei uns passiert das in allen möglichen neuen Varianten, mit langen Verkettungen zwischen Händen und Knien, oder Ellbogen und Knien. Wir schauen uns die Beziehungen von Körperteilen untereinander genauso an wie auch die Beziehungen der Personen untereinander, sodass man es eher mit einem ‘zusätzlichen’ Arm oder Bein zu tun hat als mit dem psychologischen Moment des Paares. 

GW: Bedeutet Bewegung etwas für dich? Etwa: Das Springen und Hüpfen? Oder ist es ein abstraktes Formspiel? 

IS: Natürlich bedeutet Bewegung etwas für mich. Das Springen ist in jedem Falle auch als Metapher zu verstehen, als Sprung hin zum Bruch oder Um-Bruch. Die Verfremdung ist hier aber ebenso wichtig wie die ganz kleinen, zellulären Sprünge. Das sprunghafte Abstreifen einer Membran in einer Körperzelle kann man nicht mit einem Grand Jeté vergleichen. Es ist ein ganz kleiner Sprung, und in der Entwicklung des Menschen kommen eher diese kleinen Sprünge und Differenzierungen vor. Und die zeigen eine Kontinuität: Die Kontinuität einer Bewegung, die eher ‘rund’ läuft und daher keine Akzente kennt. Dieser kleine Sprung ist innerhalb des Runden zu suchen, und das kennen wir in unserer Gesellschaft kaum: diese energetische Entwicklung als Kontinuität, als stille Kraft. 

GW: Hat dieser “kleine” Sprung auch eine politische Dimension?

IS: Nun ja, vielleicht zeigen die kleinen Veränderungen ein Bedürfnis nach Kontinuität: Ein Bedürfnis nach Weg. Ja, es wäre bestimmt auch eine gesellschaftliche Alternative, eine Kontinuität mit kleinen Sprüngen hin zu Differenzierung zu finden. Da sich der ‘große Sprung’ in der Gesellschaft immer wieder als reaktionär entlarvt hat, suchen Menschen vielleicht heute mehr nach Kontinuität. Und zwar in Formen, die mehr mit unserem Leben zu tun haben. Dabei handelt es sich dann zwar ‘nur’ um Mikro-Gesellschaften, aber immerhin. Mein Aikido-Lehrer sagt oftmals: nicht springen! Springen ist die letzte Option! 

“Pieces and Elements”, 2016

Susanne Foellmer: Isabelle, Du hast Deinem Stück den Titel “Pieces und Elements” gegeben. Was bedeuten diese Begriffe für Dich?

Isabelle Schad: Obwohl ich mit “Elements” zunächst die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall meine sowie die komplexen Zusammenhänge zwischen Naturkräften, Körper(materialitäten) und Geist, möchte ich mit dem Titel “Pieces und Elements” gleichzeitig auf eine Öffnung der Seh- beziehungsweise Sichtweisen hinwirken. Die verschiedenen Teile oder Teilchen, die benötigt werden, um ein Ganzes zu erzeugen. Der Begriff der Elemente ist nicht auf Naturgesetze beschränkt, sondern bezeichnet vielmehr allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten oder Prinzipien.

SF: In Deiner Arbeit der letzten Jahre spielt das Verknüpfen und Verbinden verschiedenster Verfahren der Bewegungsgenerierung eine große Rolle: In der Relation von bildender Kunst und Tanz, aber auch in der Integration von Praktiken wie Body Mind Centering® oder Aikido in die choreografische Arbeit. In welchem Kontext stehen hierzu die “Elemente”?

IS: Hier galt es, die Mehrdeutigkeit des Begriffs gerade auch im Verhältnis zur Choreografie herauszuarbeiten. Die Elemente könnten verschiedene Teile innerhalb einer skulpturalen Landschaft sein. Inspiriert vom Kubismus und von der Arbeitsweise mit Laurent Goldring finde ich es besonders spannend, wenn sich der menschliche Körper auch innerhalb der Gruppe auflöst, und man vielmehr mit plastischen Einzelteilen beschäftigt ist, die man sieht…, wahrnimmt…, wieder verliert…, weil man plötzlich vielleicht an etwas ganz anderes denkt oder etwas anderes sieht. Zum Beispiel wenn der Raum flach erscheint oder sich Flächen bilden und er im nächsten Moment wieder ganz tief und plastisch wird –, ganz ähnlich dem Betrachten von Abläufen, wenn man lange Zeit in der Natur ist und beobachtet: Nach und nach tun sich immer neue Bilder, Assoziationen oder Erinnerungen auf, so wie bei der Beobachtung von Wolkengebilden oder einem wogenden Blumenmeer.

SF: Zur Frage des Körperlichen hier noch einmal: Du hast bereits zuvor immer wieder mit verschiedenen Stofflichkeit gearbeitet: Dem nackten Körper und, ganz buchstäblich, mit Stoffen oder übergroßen Kleidungsstücken, die zum ‘Bewegungsmaterial’ wurden. Wie siehst Du das Verhältnis dieser Gewebe als ‘Arbeitsmaterialien’?

IS: Mit Laurent Goldring haben wir bei dem Stück “Unturtled” begonnen, ein übergroßes Kostüm als eine zusätzliche Schicht des Körpers zu betrachten […].  Dieses Verhältnis, das den Innenraum mit einem 'Übergangsobjekt', also dem Gewebe, mit dem Außenraum in Verbindung bringt, ist für mich bei dem Aspekt der Kleidung zentral geblieben.

In “Pieces and Elements” spielen wir mit den unterschiedlichen Körperteilen: Solchen, die Haut zeigen, also hell reflektieren, und denen, die schwarz auf schwarz (vor schwarzem Hintergrund) erscheinen und eher abtauchen. Schwarz auf schwarz hat natürlich viele Referenzen wiederum in der bildenden Kunst, wie zum Beispiel bei Aleksandr Rodchenko, Kazimir Malevich oder Robert Rauschenberg. Davon bin ich aber nicht ausgegangen, vielmehr finde ich es spannend zu beobachten, wer sich wann und warum mit welchen Thematiken im Bereich der abstrakten Kunst beschäftigt hat, zum Beispiel im Hinblick auf das Verwerfen von (bildlicher) Repräsentation. Abstraktion hat ja immer auch damit zu tun, sich beständig wiederholender Repräsentationen zu entledigen.

SF: Im aktuellen Stück sprichst Du wiederum nicht direkt vom Abstrakten, jedoch von Landschaften. Was verstehst Du unter diesem Begriff?

IS: Es geht um Körperlandschaften, die in ihrem energetischen Potential und ihren Einzelelementen betrachtet werden. Um die Vielfältigkeit visueller Rhythmen und den damit einhergehenden Assoziationen. Wie bereits erwähnt, ist es mir wichtig, mich nicht in eindeutigen Bildern oder Botschaften festzulegen, sondern ich möchte für jede*n Zuschauer*in die ihm*ihr eigenen Räume öffnen. Wenn sich beim Betrachten von Zuständen, Bildern, Materialitäten die Dinge so darstellen, wie sie sind, ohne dass sie direkt etwas repräsentieren sollen, dann tun sich oft sehr persönliche Freiräume und Emotionen auf. ‘Sculpting time’ ist ein Begriff, der im Prozess immer wieder auftaucht.

SF: Und inwiefern würdest Du nun die Aspekte Landschaft und Raum / Architektur, die ja im aktuellen Stück eine wichtige Rolle spielen, in ein choreografisches Verhältnis setzen? Denn schließlich sind auch “Dinge, so wie sie sind” immer schon von gewissen (Vor-)Erfahrungen geprägt.

IS: Was wir kreativ (er)schaffen ist immer schon im Zusammenhang mit der Natur zu verstehen, so meine Meinung. Die Begriffspaare ‘natürlich – künstlich’, ‘lebendig – nicht lebendig’ wurden lange als Gegensätze verstanden, die aber nicht immer so binär betrachtet werden müssen, sondern auch im Übergang verstanden werden könnten, in einer Komplexität, in der das eine das andere spiegelt oder einschließt. So zum Beispiel Architektur, die ja teils Strukturen aus der Natur übernimmt, verarbeitet, Innen- mit Außenräumen verschränkt oder mit Spiegelungen so umgeht, dass Landschaftsbilder auf Außenflächen treffen, etc. […] In der Natur ist ein Blatt ein Blatt, ein Fels ein Fels. Er repräsentiert nichts weiter, er ist nur. Ein japanische Sprichwort, das ich vor kurzem gelesen habe, hat mich diesbezüglich emotional sehr berührt: ‘Ein fallendes Blatt nimmt es dem Wind nicht übel.’

“Reflection”, 2019

Elena Basteri: Die starke visuelle Kraft deiner Arbeit beruht auf einer kontinuierlichen Bewegungsrecherche, die sich aus der Embryologie, somatischen Praktiken wie Body Mind Centering® und aus dem Shiatsu speist. In “Reflection” beziehst Du zudem Elemente aus dem Aikido mit ein. Welche Beziehung hast Du zu dieser japanischen Kampfkunst und wie lässt Du sie in deine choreografische Praxis einfließen? 

Isabelle Schad: Der Schlüssel für meine Recherche liegt in der Kontinuität des eigenen Lernens.

Ich bin ständig dabei, selbst weiter zu lernen, Neues zu erfahren. Eigentlich geht es mir immer wieder darum, ‘natürlicheBewegung’ zu erfassen. Von ihr bin ich fasziniert, von ihrer Einfachheit und zugleich – wenn sie stimmig ist – ihrer Schönheit, Sinnlichkeit, und ihre Komplexität.Vor noch 5 Jahren habe ich mich dieser Faszination hauptsächlich über Body Mind Centering® angenähert. Bei der ‘erfahrbaren Embryologie’ hat mich beeindruckt, wie die Entstehung des menschlichen Körpers als biologischer Prozess mit dem Außen, also der sichtbaren Form zusammenhängt; wie sie Bewegungsrichtungen vorgibt. Dieser Vorgang gleicht einem choreografischen Prozess.

Beim Shiatsu geht es ganz stark um die Verbindung von Selbst und dem Anderen und darum, wie man sich vom Gegenüber im eigenen Tun führen lassen kann. 

Beim Aikido rückt das Verständnis der eignen Bewegung im Verhältnis zur Schwerkraft in den Mittelpunkt: Wie können Kräfte gelenkt werden und beim Gegenüber ankommen? Wie können sie stimmig aufeinander einwirken und zu einem freien energetischen Fluss, zu einer Einheit mit dem Partner geführt werden? Im Prinzip haben all diese Praktiken eines gemeinsam: die Idee, den Innen- / Außen-Dualismus über eine Körperpraxis aufzuheben, um das Innen/Außen als Einheit verstehen zu können. 

Ich betrachte meine künstlerische Bewegungspraxis als eine Schichtung an Erfahrungen. Deshalb würde ich weniger von verschiedenen Herangehensweise sprechen, als vielmehr von einer kontinuierlichen Entwicklung, einem Weg – genannt ‘Do’ im Asiatischen. Diesen Weg teile ich mit anderen, mit den Performer*innen, die teils nun schon eine lange Strecke mit mir zurückgelegt haben […].

EB: Zurück zum Thema des kollektiven Körpers und wie er sich bewegt: Als ich bei einer Probe dabei war, habe ich gehört, wie du den Tänzer*innen explizit ermutigt hast, nicht zu viel zu synchronisieren. Ich sehe in dieser Aufforderung sowohl eine ästhetische als auch politische Relevanz…

IS: Ja. Im Grunde genommen haben wir seit Beginn der Trilogie an großen Wert darauf gelegt, Synchronisation von Synchronizität zu unterscheiden. Der erste Begriff meint, dass sich alle im gleichen Rhythmus bewegen, was einem totalitären System gleichkommt. In der Synchronizität aber sind wir zusammen, ohne den eigenen Rhythmus zu verlieren: Man schwingt energetisch und innerhalb der gleichen Bewegungsmuster mit den anderen mit, ist also zusammen, ohne zu ‘marschieren’. Das entspricht dann vielmehr einem System der Subjektivität innerhalb eines kollektiven Ganzen. Die Singularität und Persönlichkeit innerhalb der gemeinsamen Form tritt gerade wegen der vorgesetzten Form in Erscheinung und erlaubt es, sich (innerhalb derer) möglichst frei zu bewegen […].

So wie wir als Mensch Teil der Natur, der Tierwelt, des Planeten sind, wie auch Teil der von uns entwickelten Technik und Technologien. Und wie das Reflektieren im Handeln inbegriffen ist, im täglichen, konkreten Tun, was uns als Gruppe – auch auf einer mikro-politisch relevanten Ebene – zu einer starken Gemeinschaft macht. 

EB: Ich möchte Dich etwas über die Rolle der Sprache in deinen Arbeiten fragen, oder besser gesagt über ihre Abwesenheit. In einem Interview, das du mir gezeigt hast, schreibt dein Aikido-Lehrer Gerhard Walter: “Wir gehen davon aus, dass wir Hände, Arme und Füßen haben. Dementsprechend sehen wir immer wieder Menschen, die versuchen, ihre Hände, Arme und Füße zu bewegen […]. Was wir auf den Schultern tragen, ist kein Kopf, wir bezeichnen es als Kopf. Das ist keine Hand, wir bezeichnen es als Hand.” Hier lässt sich die Sprache als eine Art Verfälschung der Realität begreifen, die für die Wahrnehmung der Körper quasi irreführend ist. Siehst du das auch so?

IS: Durchaus. Sprache kann die Realität eigentlich nur unzureichend erfassen. Eine Beschreibung einer Situation oder eines Bildes kann einzelne Elemente – sicherlich auch sehr präzise – beschreiben und darüber erzählen. Unsere Wahrnehmung geht jedoch weit darüber hinaus […].  

Über das Erkennen des Augenblicks wird in jedem Moment von jeder Person Realität erzeugt. Des einen Realität ist dabei so wahr wie die des anderen. Unser Erkennen umschließt das Wahrnehmen. Im Erkennen steckt das Wort ‘Kennen’ und es umschließt das Vergangene wie auch den jetzigen Moment, der wiederum in die nächste Zukunft führt, für die man sich öffnet: Man weiß, was zu tun ist.

Deswegen ist Tanz solch ein faszinierendes Medium, weil es weit über die Sprache hinausgeht. Weil es sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung ist, die jedem die eigene Realität widerspiegelt. Tanz, Bewegung ist komplett offen für Subjektivität, für persönliche Erfahrung. Ohne beim Betrachter etwas Bestimmtes erzwingen zu wollen, will man eben doch etwas: Es geht darum, Räume zu öffnen, in denen kleine Wunder passieren können…

Reflections on pieces, elements and jumping, collectively.

By Przemek Kamiński

Care is a practice that brings our bodies together. That keeps them together. That creates a group.

We commit and engage. It is a persistent – even stubborn – process of holding on to something which matters to us.

We recognise and accept that, even if we do not have the same bodies, the same backgrounds, or the same feelings, we do practice on a common ground.

The practice teaches us what we value, rather than simply what is of value.

We devote ourselves to care for togetherness. It is precious, affective, empowering.

We care through the body; we insist on it.

We care for our own singular bodies as a way to – gradually – unfold into other bodies. We invite them, we embrace them. We share our vulnerabilities.

We encompass the wholeness of the self, its fragility. We become porous membranes. We let the movements leak out. We amplify inside-out and outside-in movements through our own membranes. We draw out, we absorb. We receive and give back.

We trust the process. It continues and expands into the time and space we share. We insist on being in relation.

We care for our individual trajectories. We become threads of energetic lines, we trace them.

We meet and cross. We continue the journey into unforeseeable yet-to-comes.

We contemplate, we go through a collective plan.

We care for the promise we share. The promise that must be conceived together, must be set into motion, and must be dared – collectively – into existence.

We sharpen awareness to all the fleeting moments. We sink into them. Momentarily and for the moment. We find tranquility there.