An Ant of the World

Von Alexander Karschnia

Für ihre neue Arbeit “global swarming – the science of the antz” werden andcompany&Co. zur ANTCOMPANY. Ihre Faszination für die kleinen Krabbler ist berechtigt: Wenn Ameisen nicht das Klima (und damit die Menschheit) retten, werden sie wohl deren Nachfolge antreten als dominierende Zivilisation auf diesem Planeten. Was Ameisen mit CO2 zu tun haben und ob sie das Anthropozän überleben, lesen Sie im Text von Alexander Karschnia.

Eine Ameise von Welt? Nun mag die Welt der einzelnen Ameise aus menschlicher Sicht zwar extrem überschaubar sein – nur macht es bei Ameisen wenig Sinn, vom Individuum auszugehen. Schon etwas mehr Sinn macht es, vom einzelnen Nest, der individuellen Ameisenkolonie auszugehen. Ameisen sind sogenannte „Superorganismen“, d.h. die einzelne Ameise ist eher mit einer einzelnen Zelle zu vergleichen als mit einem Organismus. Noch mehr Sinn macht es, von der Ameise als Art auszugehen. In diesem Sinne lässt sich sehr wohl sagen, die Ameisen seien eine „Art von Welt“, um nicht zu sagen: eine Weltmacht. Man findet sie überall auf dem Planeten: von der tropischen Zone bis zum ewigen Eis. Okay, das ist jetzt übertrieben – im Eis leben sie nicht und ab einer bestimmten Höhe kommen sie auch nicht mehr vor, sonst aber so gut wie überall (sogar in der Wüste). Aber das Faszinierendste an dieser faszinierenden Art für uns Menschen ist wahrscheinlich der Umstand, dass sie uns als Art aufwiegen – wörtlich: würde man alle 10 hoch 6 Ameisen auf eine Waagschale zwängen und alle 7,7 Milliarden Menschen, dann wäre diese Waage im Gleichgewicht. Das klingt schon mal gut in einer Welt, in der sonst nicht mehr viel im Gleichgewicht ist. Aber dieser bizarre Vergleich hat durchaus noch eine andere Berechtigung: Ameisen und Menschen haben tatsächlich etwas gemeinsam: sie sind „eusozial“ – jedenfalls die Ameisen, von den Menschen kann man das nur eingeschränkt sagen. Zumindest so viel lässt sich mit Bestimmtheit sagen: gäbe es nicht neben der individuellen Selektion von Einzelexemplaren noch eine „Gruppenselektion“, die Menschheit hätte es niemals zur erfolgreichsten Säugetierart gebracht. Und die Ameisen nicht zur erfolgreichsten Art unter den Wirbellosen. Die wirklich spannende Frage jedoch ist: wenn diese „Gruppenselektion“ so erfolgreich ist, warum kommt sie nur so selten vor? Warum sind außer Menschen und sozialen Insekten (dazu zählen auch Bienen, Wespen und Termiten) so wenige Arten „eusozial“, sprich: kooperativ?

Die Menschheit hat begonnen, die Ameisen nachzuahmen.

Diese Frage wird in den letzten Jahren mit Vehemenz diskutiert: In seinem Buch „Die soziale Eroberung der Welt“ hat der weltberühmte Ameisenforscher E.O. Wilson die Debatte zum Abschluss gebracht: „eusozial“ zu sein ist ein evolutionärer Vorteil! Und niemand ist so eusozial wie die Ameisen: Hier verzichten 99,999999999% Prozent eines Nestes auf die eigene Reproduktion. Niemand außer der Ameisenkönigin reproduziert sich – okay, außer ein paar Drohnen, aber die werden nur kurz aufgepäppelt, um sie dann auf Hochzeitsflug zu schicken mit ein paar potenziellen Jungköniginnen und danach lässt man sie nicht mehr zurück ins Nest. Im Ameisennest gibt es sonst nur „geschlechtslose“ Arbeiterinnen, Pflegerinnen, Bauarbeiterinnen, Kundschafterinnen, Jägerinnen, Sammlerinnen und Soldatinnen… So weit geht die „Eusozialität“ bei den Menschen natürlich noch nicht. Aber die Menschheit hat begonnen, die Ameisen nachzuahmen: auch die „Spermathek“, über die jede Königin verfügt, ist nachgebaut worden. Sie ermöglicht ein selbstbestimmtes Timing der Reproduktion und den Zugriff auf einen erweiterten Genpool. Jahrzehntelang haben die Menschen versucht, die Evolutionstheorie nach menschlichen Maßstäben zu denken und die „individuelle Selektion“ durch eine Selektion nach Verwandtschaftsgraden zu erweitern. Es wurde sogar eine mathematische Formel angelegt, die die Wahrscheinlichkeit errechnen sollte, ob man einem Menschen, der am Ertrinken ist, hilft oder nicht – die sog. Hamilton-Regel, die zunächst in einem Pub auf einem Bierdeckel entworfen wurde: je verwandter man ist, desto höher die Chance, dass man einen Menschen aus dem Fluss zieht. Dass das Unsinn ist, müsste eigentlich nicht erst mathematisch widerlegt werden, hat sich aber erst vor wenigen Jahren in der Forschungs-Community herumgesprochen. Warum? Wahrscheinlich, weil sich die Menschen bis vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten, dass es Arten gibt, die sich aufopferungsvoll um die Brut kümmern, selbst wenn sie nur sehr bedingt – oder sogar gar nicht – genetisch mit ihnen verwandt sind. Auch für letzteres liefern die Ameisen das beste Beispiel, gibt es doch eine spezielle Art, die immer wieder Eier von anderen Arten klaut und sie wie ihre eigene Brut aufzieht, bzw. ihre eigne Brut von diesen „Mitbewohnerinnen“ aufziehen lässt. Braucht es wirklich die Ameisenforschung, um den Neoliberalismus à la Margaret Thatcher zu widerlegen?

Massenaussterben vor 60 Millionen Jahren. Wer hat es damals schon überlebt? Richtig, die Ameisen!

Es gibt nicht nur Individuen und ihre Familien – es gibt ganze Populationen, die „eusozial“ sind. Um nicht zu sagen: „eusozialistisch“. Wahrscheinlich hätte so eine Vorstellung nicht nur Margaret Thatcher den Schlaf geraubt. So tief sitzt die Angst vor diesen kleinen Krabblern, dass sie eines Tages die Menschheit verdrängen könnte. Und das ist auch durchaus ein realistisches Szenario: Würde die Menschheit verschwinden, dann hätten tatsächlich die Ameisen die größte Chance, sie als dominante Spezies zu beerben. Nur dass am Verschwinden der menschlichen Art nicht die Ameisen schuld sein werden, sondern die Menschheit selbst. Wie auch am Verschwinden von 90% aller anderen Arten – so wie beim letzten Massenaussterben vor 60 Millionen Jahren. Wer hat es damals schon überlebt? Richtig, die Ameisen! Sie werden auch den Sturz des Klimas überstehen, während die Menschheit die Nachfolge der Dinosaurier antritt. Es sei denn, sie sorgt dafür, dass ab sofort kein fossiler Brennstoff mehr aus der Erdkruste gebrochen wird. Die Zeit läuft ab – um Zeit zu gewinnen, brauchen wir die Kollaboration mit Ameisen. Denn wie die jüngste Forschung herausgefunden hat, sind Ameisen auch aktiv am Prozess der Verwitterung beteiligt. Das bedeutet konkret: Dank der Ameisen ließen sich Tonnen von CO2 im Boden binden! Das also ist das Szenario am voraussichtlich baldigen Ende des sog. Anthropozän: Die Erdoberfläche wird von zwei mehr oder weniger sozial lebenden, mehr oder weniger intelligenten Arten bevölkert: Während jedoch das Gedeihen der Fauna & Flora ohne die eine Art gar nicht mehr vorstellbar ist, vernichtet die andere eben jene Bedingungen, die sie auch selbst braucht, um existieren zu können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nicht länger, ob die Menschheit ihren „Anthropozentrismus“ überwinden müsste und versuchen sollte, einen „interspezifischen Kontakt“ herzustellen. Klar ist jetzt auch, wen es zu kontaktieren gilt: Die einzige andere evolutionär erfolgreiche soziale Spezies. Stellt die Suche nach „Außerirdischen“ ein, stellt auf „Innerirdische“ um! Nur dass es dabei ein kleines Kommunikationsproblem gibt: Mit Ameisen gibt es kein „take-me-to-your-leader“. Um mit Ameisen Kontakt aufzunehmen, muss man lernen, mit allen Ameisen zugleich zu kommunizieren. Es gibt dort zwar verschiedene „Kasten“ und eine hochspezialisierte Arbeitsteilung, aber keine „Eliten“, mit denen man kommunizieren (oder die man korrumpieren) könnte. Können uns die neuen Kommunikationsmittel helfen, das zu erlernen? Vielleicht ist unsere Angst vor „künstlicher Intelligenz“ in Wirklichkeit die Angst vor „kollektiver Intelligenz“ – und zwar unserer eigenen! Und davor, was sie impliziert: einen „Kommunismus der Geister“, wie Hölderlin es nannte. In der Sprache der Ameisen: „einen Kommunismus der Düfte“. Es liegt was in der Luft – and it smells like ant spirit!