Leider gehört es zur brasilianischen Geschichte, dass die Demokratie immer wieder von militanten Kräften übernommen wird. Wir Brasilianer_innen haben zwischen 1964 und 1985 eine Militärdiktatur erlebt – und müssen uns heute mit ihrem Sympathisanten Bolsonaro herumschlagen. Man könnte also sagen, dass der militante Regierungsstil eindeutig eine Tradition der weißen Elite ist, die mit Mord, Folter und Unterdrückung um ihren Machterhalt kämpft. Am besten erging es uns noch unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, dessen erklärtes Ziel es war, einen sozialen Staat aufzubauen. Und was ist heute? Sitzt er wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis, ohne dass es dafür irgendwelche Beweise gäbe. Mit solchen Methoden will Bolsonaro die Linke unsichtbar und stumm machen – und hat zum Teil auch Erfolg damit.
Für mich ist die klassische Linke mitverantwortlich für den Aufstieg Bolsonaros. Diese Weißen haben sich nie wirklich dafür interessiert, wie es dem marginalisierten und sozial schwachen Teil der Bevölkerung geht. Auch unter Lula da Silva und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff wurden die Favelas von der Armee besetzt. Bolsonaro konnte nur deshalb an die Macht kommen, weil die Linke diese Leerstelle offen ließ und er es wie kein anderer verstand, Angst und Misstrauen innerhalb der Bevölkerung zu schüren. Natürlich darf man dabei nicht vergessen, dass er mächtige Unterstützer_innen auf seiner Seite hatte: Die Pfingstbewegung und andere ultrakonservative Kräfte, denen daran gelegen war, das Patriarchat zu verstärken.
Brasilien wird längst wie eine Diktatur regiert
Ich finde, es ist höchste Zeit, dass die linken Parteien selbstkritisch analysieren, wie es so weit kommen konnte. Die Partido dos Trabalhadores (PT) muss sich zum Beispiel fragen, warum sie Dilma Rousseff während ihrer Amtsenthebung nicht unterstützt hat. Stattdessen wurde die ehemalige Präsidentin aus den eigenen Reihen heraus fertiggemacht. Sie musste sich von ihren eigenen Leuten anhören, wie aggressiv und rhetorisch schlecht sie sei. Für mich ist dieses respektlose Verhalten schlicht und einfach misogyner Natur. Es zeigt mal wieder, dass Männer die Welt regieren, egal, ob sie politisch links, rechts oder in der Mitte zu verorten sind.
Und ihretwegen müssen wir jetzt mit einem Faschisten leben, durch den sich die Diskriminierung gegenüber Frauen, Schwarzen, Indigenen und LGBTQ-Personen noch einmal um ein Vielfaches verschlimmert hat. Mein Heimatland ist nur noch äußerlich betrachtet eine Demokratie, in seinem Inneren wird es längst mit den Methoden einer Diktatur regiert. Unter Bolsonaro herrscht endgültig das Recht des Stärkeren. Er hat nicht nur das Polizeiaufgebot massiv vergrößert und Polizist_innen Straffreiheit garantiert, wenn sie aus Angst, Überraschung oder emotionaler Überwältigung auf Zivilist_innen schießen. Er hat auch erlaubt, dass von nun an jede_r zu Selbstverteidigungszwecken eine Waffe tragen darf, weshalb die Mordrate, insbesondere an queeren Personen, natürlich um ein Vielfaches gestiegen ist.
Hinzu kommen Kürzungen bei den Sozialleistungen, der Unterstützung bei Kindergartenplätzen und die Streichung sämtlicher Gelder für die Förder- und Schutzprogramme der queeren Szene. Mit diesen Schritten macht Bolsonaro klar, wo die Reise hingeht: Frauen sollen zurück an den Herd und mit der Salonfähigkeit von Homophobie, Xenophobie und Lesbophobie wurden wir endgültig für vogelfrei erklärt.
Doch es gibt einen Funken Hoffnung: Bolsonaro ist nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt worden, sein Sieg ist schlichte Mathematik. Insbesondere die Städte im Nordosten Brasiliens haben ihm ihre Stimme verweigert, und auch in der Politik gibt es zahlreiche Brasilianer_innen, die nichts mit diesem Faschisten zu tun haben wollen: die Anarchisten, die Partido Socialista Brasileiro (PSB), die Partido Socialismo e Liberdade (PSOL), die Partido Democrático Trabalhista (PDT) und die Partido dos Trabalhadores (PT). Zwischen Bolsonaro und seinem Herausforderer Fernando Haddad (PT) lagen zum Glück nur zehn Prozent – ein vergleichsweise knappes Ergebnis, das mich nicht verzweifeln lässt. Umso mehr, weil bis heute trans Personen und Schwarze Frauen in den Parlamenten aller Ebenen dieses Landes sitzen und dort unerschrocken für unsere Rechte kämpfen. Allerdings sind es bis jetzt zu wenige, als dass sie wirklich etwas ausrichten könnten. Ich wünschte, wir hätten eine andere Linke, dann könnten wir einen Putschversuch starten. Doch die Linke ist momentan zu schwach, um Bolsonaro zu stürzen
Die Elite muss sich vorsehen, wenn sie es mit uns aufnehmen will
Aber wir werden weiter Widerstand leisten. Nicht nur gegen Bolsonaro, sondern gegenüber der gesamten weißen Elite Brasiliens, die uns mit ihrem kolonialen Verhalten das Leben zur Hölle macht. Denn über eins müssen sich diese Faschisten und ihre Lakai_innen im Klaren sein: Unser Leben ist Widerstand. Wir sind es gewohnt, zu kämpfen und wir haben schon Schlimmeres überlebt. Die Elite muss sich vorsehen, wenn sie es mit uns aufnehmen will. Wir, das sind Abertausende, die auf dieses miese Spiel von Macht und Unterdrückung keine Lust mehr haben. Wir, das sind Abertausende, die das staatliche System mithilfe von sozialen Bewegungen zunehmend unterwandern und irgendwann zum Einsturz bringen werden.