Drei Fragen an Ariel Efraim Ashbel

zu “The Names / שמות”

Deinen bisherigen Arbeiten gingen immer umfangreiche Recherchen voraus, die du gemeinsam mit einem*r Researchpartner*in über mehrere Wochen hinweg durchgeführt hast, um sie dann in einem sogenannten Seminar mit deinem gesamten Team zu teilen. Wie kann man sich die Entstehung deiner Werke konkret vorstellen?

Meistens beginnt der Prozess mit einer Frage oder einer Reihe von Fragen. Wie bereits erwähnt, gehe ich dann zusammen mit einem*r Researchpartner*in diesen Fragen auf den Grund, und wir erstellen eine umfangreiche Sammlung von Bildern, Texten und Videos, die dann das Ausgangsmaterial für die Show bilden. Diese Ergebnisse teilen wir mit dem Team und aktivieren so die Assoziationsketten aller Beteiligten. Dann improvisieren wir gemeinsam und das Stück beginnt zu entstehen. In der Endphase der Komposition wird es eher abstrakt oder absurd, und zugleich entsteht eine straffe Komposition, die gleichermaßen Unterhaltung und Experiment ist. Der Kern der Recherche ist implizit aber immer noch vorhanden: Sie erdet das Stück von innen heraus, wie das Fundament eines Gebäudes, und lässt es dennoch auf seltsame Weise wachsen. Vielleicht kann man es sich als eine gegenseitige  gemeinsame Meditation vorstellen; es bringt viele Stimmen zusammen, auf eine Art und Weise, die vielleicht nicht viel “sagt”, aber immer viel TUT.
 

Die Recherchen zu deinen Stücken reichen von der antiken Geschichte bis zur zeitgenössischen Popkultur. Welches sind die inhaltlichen Eckpunkte von “The Names”? Und was hat es mit dem Titel auf sich? 

Als wir über die Show nachzudenken begannen, beschlossen der Schriftsteller Senthuran Varatharajah und ich, uns der biblischen Erzählung anzunähern, und waren besonders von der Figur des Moses fasziniert: Der erste Prophet, der nicht nur widerwillig war, sondern auch einen Sprachfehler hatte. Wir haben dann nachgeschaut, welcher Teil der Tora (der biblische Teil, den die Gläubigen wöchentlich in der Synagoge lesen) der Woche der Premiere zugeordnet ist, und haben herausgefunden, dass dieser die Geschichte der Geburt Mose erzählt. Es ist der erste Teil des Buches Exodus, das im hebräischen Original das “Buch der Namen” heißt. Also beschlossen wir, unser Stück danach zu benennen, und begannen, uns den Text genau anzusehen. Dann haben wir mit dem gesamten Team eine Woche lang gemeinsam die Tora studiert, die Geschichte analysiert, sie auf ihre formalen Elemente abstrahiert und daraus eine Partitur erarbeitet. Alle beteiligten Künstler*innen nahmen diese Partitur dann als Vorlage für den Inhalt. Am Ende entstand eine weitere reichhaltige, seltsame, vielschichtige und intensive Komposition, die diesmal jedoch auf einer freien Interpretation eines biblischen Textes beruht.
 

“10 Jahre Ariel Efraim Ashbel”! Was ist 2023 zu erwarten?

Erstmal – OMG! Ich kann ehrlich gesagt nicht glauben, dass es schon ein Jahrzehnt her ist. Ich fühle mich so privilegiert, von all diesen talentierten, freundlichen und lustigen Menschen umgeben zu sein, die sich dafür entscheiden, Zeit mit mir zu verbringen. Wenn ich an die Arbeit denke, die wir seit 2013 geleistet haben, erfüllt mich das mit Dankbarkeit und Liebe für diese Zirkusfamilie, die wir gemeinsam aufgebaut haben. Um das zu feiern, planen wir ein Festjahr. Im Frühjahr werden wir in Zusammenarbeit mit dem HAU zwei neue Feiertagsshows machen: Zu Purim, dem jüdischen Karneval, veranstalten wir einen Kostümball; und zu Pessach, dem Frühlingsritual der Erneuerung, einen performativen Spaziergang zwischen dem Jüdischen Museum und dem HAU. Unter dem Arbeitstitel “Fiddler on the Roof” präsentieren wir dann Ende des Jahres im HAU1 ein großes Musikspektakel, mit dem wir feiern wollen, was es bedeuten könnte, heute in Europa jüdisch zu sein. Und ich bin mir sicher, dass im Laufe des Jahres noch weitere Überraschungen auf uns zukommen werden, also bleibt dran!

Die Fragen stellte Petra Poelzl, Kuratorin für Tanz und Performance am HAU Hebbel am Ufer.

Ariel Efraim Ashbel and friends
The Names / שמות
11., 12., 14.1.2023, 20:00 + 15.1.2023, 19:00 / HAU2 

Weitere Informationen

Bibliografie – fünf Quellen, ohne die “The Names” nicht existieren könnte:

David Shapiro, Michal Govrin, Jacques Derrida, “Body of Prayer”. The Irwin S. Chapin School of Architecture, 2001

Dan Graham, “Rock my Religion”. Ein Buch, veröffentlicht von MIT Press, 1994. Und ein Film mit dem gleichen Titel, 1982.

Beyoncé, “Renaissance”. Columbia Records 2022

Simone Weil, “Gravity and Grace”. Routledge Classics 2022

Die Bibel