Endlich ist die Baustelle weg!

Editorial aus der Publikation zu “Berlin bleibt! #4 – Treffpunkt Mehringplatz”

Von Annemie Vanackere und dem Team des HAU Hebbel am Ufer

... Das ist zumindest der Planungsstand Ende April – und wir hoffen, dass es nicht nur eine Beschwörung bleibt. Nun kann der Mehringplatz wieder Platz sein: ein Ort, an dem sich Nach­bar:in­nen treffen, an dem geredet, gelacht und verweilt wird – und der eben auch in Zukunft ein Treffpunkt ist für die Menschen, die hier wohnen. Das ist, was hinter unserer 2019 mit einer Kiez-Party ge­starteten Reihe “Berlin bleibt!” steht: “eine Stadt für alle, die drin wohnen”, so wie es bei Christiane ­Rösinger im Musical zur Wohnungsfrage “Stadt unter Einfluss” heißt.

Nach über zehn Jahren Baustelle freuen wir uns als langjährige Nachbarin darauf, dass dieser Ort wieder zugänglich wird. Denn was sind öffentliche Plätze anderes als Orte der Gemeinschaft ihrer Bewoh­ner:innen und der Nachbarschaft, also Treffpunkte im besten Sinne? Die Wohnungsfrage und die Frage, wem der städtische Raum gehört und wer über ihn bestimmen darf, haben heute nichts an sozialer Dringlichkeit verloren. “Berlin bleibt! #4” möchte am Mehringplatz eine stadtpolitische Position stärken, die gegen die Verwertbarkeit von Wohnraum die Bewohner:innen mit ihrer Diversität und ihren Interessen und Fragestellungen ins Zentrum rückt. Wir wollen mit jenen ins Gespräch kommen, die ein rücksichtsloser Stadtumbau als lästig erfährt und die zu oft ignoriert werden.

Aber Plätze sollen Orte sein, die Raum lassen, um unser Zusammenleben neu zu imaginieren, zu gestalten und zu verhandeln. Urbane Plätze können dazu dienen, andere, neue Formen des Zusammenlebens auszuprobieren und dabei Widersprüche sowie Differenzen nicht auszublenden. In den letzten Jahren haben wir am Platz Bekanntschaften geschlossen mit Menschen und Organisationen. Für die konkreten künstlerischen Aktionen im Juni 2022 stehen uns einige von ihnen als “kritische Freund:innen” zur Seite, die das HAU-Team und die eingeladenen Künstler:innen informieren und beraten. Zusammen mit diesen Performer:innen, Musiker:innen und bildenden Künst­ler:in­nen, sozusagen ­un­­seren “künst­le­rischen Freun­­d:innen”, wol­­len wir die Werkstatt- und Begegnungsformate aus 2021 (“Berlin bleibt! #3”), die pandemiebedingt vor allem in den Schaufenstern eines leeren Ladenlokals am Platz gezeigt wurden, im Jahr 2022 weiterführen und ausbauen. Diesmal soll möglichst viel live und öffentlich stattfinden, sodass sichtbar und hörbar wird, was das Leben an diesem Platz ausmacht. Und auch als – hoffentlich gute! – Unterhaltung für alle.

Wie können wir als Stadt zu einer sorgenden, Freude spendenden Stadt werden?

Wenn wir im Rahmen von “Berlin bleibt! #4” vom 17. Juni bis 2. Juli diesen konkreten öffentlichen Raum künstlerisch und kooperativ teilen, dann nicht, um ein Programm des HAU von drinnen nach draußen zu bringen. Stattdessen verstehen wir uns als Partner:innen in einem offenen Prozess, bieten an, was wir an künstlerischen und technischen Mitteln haben, und entwickeln im Austausch neue Formate. So gibt es im Haus einen Bereich, der “HAU to connect” heißt: Neben dem Wortspiel “HAU/How” drücken wir damit auch aus, dass wir selber mit Partner:innen vor Ort ­herausfinden wollen, wie wir uns verbinden. Wie können wir künstlerische Prozesse für den Alltag des Kiezes wertvoll machen; wie kann performative Kunst vor Ort “alltagstauglich” gemacht werden und wie kann Kunst uns inspirieren bei den großen Fragen: Wie wollen wir zusammenleben? Wie wollen wir für­einander da sein in der Stadt, in den Kiezen, in denen wir leben? Wie können wir als Stadt zu einer sorgenden, Freude spendenden Stadt werden?

Wo können solche Herangehensweisen, mit allem, was sie aus der politischen und sozialen Wirklichkeit mitbringen, sichtbar werden?

Wo, wenn nicht hier, auf diesem Platz, dem von Norden die mehr und mehr gentrifizierte Friedrichstraße näher rückt, dem vom Osten das “klassische” Kreuzberg die Aufmerksamkeit abzieht, auf den mit dem Bibliotheksneubau und anderen neuen Stadtquartieren in der Nähe neue Begehrlichkeiten zukommen werden, und der gleichzeitig mittendrin ist und vor allem doch für seine Bewohner:innen einfach nur der Ort ist, an dem sie zu Hause sind.

Wir bedanken uns herzlich bei allen Bewohner:innen des Platzes, dass wir als HAU Teil von diesem Zuhause sein dürfen. Wir freuen uns darauf, sie und Menschen von überall her – und also auch Sie – beim Programm von “Berlin bleibt! #4” zu sehen. Herzlich willkommen am Treffpunkt Mehringplatz!  

Foto: © Sonja Deffner