“Wir haben die Dinge nicht bewahrt, wir haben einfach gemacht.”

Ein Gespräch aus der Publikation zum Festival “Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab”

Was passierte im Zodiak Free Arts Lab? Wie inspirierten sich die unterschiedlichen Szenen gegenseitig? Welchen Einfluss hatte das Zodiak auf nachfolgende Genera­tionen? Um diese Fragen zu klären, haben wir mehrere Generationen an den virtuellen Zoom-Tisch gesetzt. Die Malerin Elke Lixfeld, die das Zodiak mitgegründet hat; den Musiker Alfred 23 Harth, der dort 1968 das Inventar ansägte; den Musiker Alexander Hacke, der in Berlin den Postpunk mitgeprägt hat; die Musikerin Andrea Neumann, die in den Neunzigern erlebte, dass Berlin zur Hauptstadt der improvisierten Musik wurde. Ein Gespräch über Experimente, Befreiung, Solidarität – und den unverzicht­baren Underground.

Das Zodiak Free Arts Lab existierte nur rund eineinhalb Jahre, zwischen Ende 1967 und Mitte 1969, aber es gilt als legendärer Ort. Es gibt wenige Bild- und Tonaufnahmen aus dem Zodiak. Elke, was war das überhaupt für ein Raum?

Elke Lixfeld: Es gab zwei Räume im Zodiak. Der vordere war ganz weiß, ein knallheller Raum mit grellem Licht. Überall standen Plüschsessel und Kanapees, auf denen die Leu­te saßen und rauchten. Um in den hinteren Raum zu gelangen, musste man durch einen kleinen Tunnel hindurch. Dann kam man in einen riesigen, schwarzen Raum. Das war der “Aktionsraum”, darin waren die Tätigen, die Aktiven. Dort wurde Musik gemacht, aber es wurde auch immer dazu agiert. Mit unserer Grup­pe Human Being sind wir dort jeden Tag aufgetreten, die bestand aus Norbert Eisbrenner, Broderick Price, Beatrix Rief, Hans-Joachim Roedelius, Boris Schaak, Verena Schirz, Christoph Sievernich und mir. Das Zodiak war ein Ort, an dem man seine Freiheit ausleben konnte. Ein Szeneplatz, an den alle Kreativen kamen, auch die Filmemacher:innen. Es wurde Tag und Nacht Musik gemacht. Es wurden auch Filme wie “Chelsea Girls” (Anm.: Andy Warhol, 1966) gezeigt, um das Bewusstsein zu erweitern.

Wer hat denn das Zodiak betrieben?

Elke Lixfeld: Conrad Schnitzler hatte den Raum ausfindig gemacht, er hat das Projekt aufgebaut. Er hat es dann aber relativ schnell an ­un­sere ­Grup­­pe Human Being übergeben. Fortan haben wir als Kollektiv das Zodiak betrieben. Boris Schaak, der 2012 leider verstorben ist, war ein bisschen unser Mastermind. Es gab auch noch einen Wirt, den habe ich aber nie groß wahrgenommen. (Anm.: Der Wirt war der Fotograf Paul Glaser. Glaser war der offizielle Betreiber des Zodiak, er überließ die Programmgestaltung jedoch nach einer Weile Conrad Schnitzler, der sie wiederum in die Hände von Human Being legte.)

Alfred Harth: Conrad Schnitzler war eine entscheidende Figur dieser Zeit. Schnitzler hatte ja bei Beuys studiert, er war ursprünglich bildender Künstler. Er hat sich dann von der bildenden Kunst abgesetzt, vielleicht auch von Beuys. Schnitz­­ler hat das Cello gespielt, obwohl er es im herkömmlichen Sinne nicht “konn­­­te”. Er hat es als Klangobjekt genutzt, es wie ein:e spätere Punkmusiker:in gespielt. Oder er hat sich seinen Lautsprecherhelm aufgesetzt und den Kassettenrekorder umgeschnallt. Das war schon alles sehr originär.

“Oben in die Schaubühne gingen die reichen, schick angezogenen Leute. Und während der Pau­se sahen sie die jungen Rau­cher:innen und Kiffer:innen in diesem weißen Raum liegen.” (Elke Lixfeld)

Die Schaubühne befand sich damals im gleichen Gebäude wie das Zodiak, beides war im Haus des heutigen HAU2. In der Schaubühne hat Peter Stein 1969 erstmals Stücke aufgeführt. Wie war die Beziehung zu dem Theater?

Elke Lixfeld: Das war eher eine gespaltene Szenerie: Oben in die Schaubühne gingen die reichen, schick angezogenen Leute. Und während der Pause sahen sie die jungen Raucher:innen und Kiffer:innenin diesem weißen Raum liegen. Das war ein offener Glasraum, wie ein Schaufenster. 

Alfred, du hast auch im Zodiak gespielt. Wie hast du den Ort in Erinnerung?

Alfred Harth: Ich performte 1968 zusammen mit Sven-Åke Johansson, Rüdiger Carl und Werner Götz im Zodiak. Die Hauptaktion spielte sich im schwarzen Raum ab. Unser Auftritt war orgiastisch und wild. Wir machten nicht nur Instrumentalmusik, sondern ich hatte auch eine große Säge dabei, mit der ich die Bühne oder das Podium ansägte als Happening-Aktion, im Sinne von Fluxus. Fluxus war ja durch die Ausstellung in Wiesbaden – also in der Nähe von Frankfurt am Main, wo ich lebte – im Jahr 1962 groß geworden. 

Welches waren weitere wichtige Einflüsse?

Elke Lixfeld: Das Living Theatre! Wir waren ja fast erschüttert vor Freude, was diese Gruppe uns an Theater, Aktionskunst und Geräuschen geboten hat. Der Theatervisionär Frank Burckner (Anm.: bürgerlich Helmut Kraut) hat das Living Theatre nach Berlin geholt. Burckner hat uns Jüngere mit Kunst bekannt gemacht, die wir nicht kannten, er war wie unser Mentor. Wir haben am Forum-Theater am Kurfürstendamm gemeinsam mit dem Living Theatre das Stück “Connection” aufgeführt. Aus dieser Gruppe gingen später Human Being und das Zodiak hervor. Den Einfluss des Living Theatre kann man meiner Meinung nach gar nicht hoch genug einschätzen. Eine Künstlerin wie Pina Bausch hätte es zum Beispiel ohne das Living Theatre so nicht gegeben.

Alfred Harth: Wir hatten auch internationale Vorbilder wie The Velvet Underground oder ­Warhols Factory, wo es verschiedene intermediale Aktionen gegeben hatte. In Köln veranstaltete vorher schon Mary Bauermeister in ihrem Atelier Bauermeister Anfang der 1960er-Jahre Happenings und intermediale Abende. Spätere Berühmtheiten wie Nam June Paik traten dort auf. Mit Karlheinz Stockhausen war Mary Bauermeister einige Jahre ab 1967 verheiratet. Stockhausen hat natürlich auch einen sehr großen Einfluss ausgeübt, nicht nur in Westdeutschland. Auch die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik haben wichtigen Input gegeben. Was unsere Generation ausmachte: Wir haben die Dinge nicht bewahrt, wir haben einfach gemacht. Wir waren “Täter:innen”, das Tun stand vor dem Bewahren. Wir konnten deswegen kaum fotografieren oder archivieren. Heute ist es ja so, dass man alles zugleich macht. Es wird ein Event kreiert, um ihn im nächsten Moment bei Instagram oder Facebook zu posten.

“Es ging uns insgesamt darum, die ganzen alten, vom Dritten Reich kommenden Haltungen auf­zu­sprengen und aufzulösen. Bloß keine Führer:innenfiguren!” (Alfred Harth)

Welche Rolle spielten Student:innenbewegung und Außerparlamentarische Opposition im Zodiak?

Elke Lixfeld: Es war eine politisch aufgeladene Situation. Auch die Baader-Meinhof-Gruppe hat sich öfter vor dem Zodiak aufgehalten. Wir haben eine freundschaftliche Beziehung zu denen gehabt. “Sympathisant” war ein häufig benutztes ­Schimpfwort zu der Zeit. Holger Meins, ein wunderbarer Mensch, war damals ein junger Filmemacher und kam ins Zodiak. Ulrike Meinhof kannte ich sehr gut, wir haben gemeinsam dafür gekämpft, dass das Bethanien in Kreuzberg ein Kinderkrankenhaus bleibt. Astrid Proll schenkte mir Kinderklamotten. Ich habe damals versucht, viele Leute von ihren politischen Aktionen, die ich für destruktiv hielt, abzubringen. Also zum Beispiel das IBM-Gebäude mit Steinen zu bewerfen. Die Parole “Macht kaputt, was euch kaputtmacht” hatte schon ihre Berechtigung, doch für mich stand im Vordergrund, dass man seinen eigenen Weg geht, sich kreativ äußert und sich bewusst macht, wer und was man eigentlich ist und was man tun kann.

Alfred, du hast am 17. Juni 1967 das centrum freier cunst in Frankfurt am Main begründet. Auch in Frankfurt gab es eine enge Verbindung zwischen der linken Polit- und der Kunstszene.

Alfred Harth: Unsere Musikszene hatten wir als Free-Music-Szene begriffen. Wir waren in dem Sinne politisch, dass wir herrschaftsfreie Kommunikation betreiben wollten in unserer Musik, mit unserer Musik. Wir grenzten uns damit von dem Free Jazz der Wuppertaler Szene um Peter Brötzmann ab, die eher am “Kaputtspielen” interessiert war. Aber auch diese Szene hatte einen gewissen politischen Impetus, denn das war ein Aufschrei. Mit Just Music, der Musikgruppe, in der ich damals spielte, wollten wir weg von dem Leaderprinzip, das im Jazz damals üblich war. Die Bands waren seinerzeit alle nach ihren Leadern benannt, wie etwa das Albert Mangelsdorff Quintett oder das Manfred Schoof Quintett. Es ging uns insgesamt darum, die ganzen alten, vom Dritten Reich kommenden Haltungen aufzusprengen und aufzulösen. Bloß keine Führer:innenfiguren! Der Name Just Music hatte diese Doppelbedeutung, die uns gut gefiel: Es ist “nur Musik” oder auch “just in dem Moment entstandene Musik”.

Es lag auch viel Theorie in der Luft. Herbert Marcuse schrieb in “Versuch über die Befreiung” (1969) von einer Revolution der Sinne und der Wahrnehmung, es gab die Literatur der Neuen Sensibilität. Und das Wort “frei” kommt überall vor, ob im Zodiak Free Arts Lab, bei Free Agitation, im centrum freier cunst oder bei Free Music Production (FMP).

Elke Lixfeld: Das Wort “Befreiung” bezog sich auf die Vätergeneration. Es ging gegen die Väter, wo viele noch aus dem NS kamen und dort fleißig mitgemacht hatten. In unserer Erziehung – ich bin 1942 geboren – war das Autoritäre noch vorhanden. Wir haben uns dagegen aufgelehnt.

Alfred Harth: Das Wörtchen “frei” war wirklich überall. Eben auch in der Musik, etwa im Free Jazz – ein Idiom, das in den USA entstanden ist. Insofern lässt sich das nicht nur politisch erklären als Aufbegehren gegen die Väter. Für unser centrum freier cunst haben wir bewusst einen überheblich klingenden Namen gewählt. Wir haben ihn als ironischen Begriff gesetzt – wiederum gegen die Übermacht der Mangelsdorff-Clique im Jazz, die in Frankfurt das Territorium beherrschte und die Stadt zur westdeutschen Jazzhauptstadt machte. Für den Nachwuchs, zu dem ich gehörte, war da kein Platz. Also mussten wir unser Ding do-it-yourself-mäßig aufziehen.

Wir Berliner:innen galten als besonders dekadent, morbide und arrogant.” (Alexander Hacke)

Es kam damals sehr vieles aus unterschiedlichsten Richtungen zusammen, aus Rock und Pop, Free Jazz, dem Performance­bereich, der Neuen Musik. War das deshalb ein so wichtiger Moment der Kulturgeschichte, weil da alles kulminierte?

Alfred Harth: Kulmination wäre eine Anhäufung – ich denke, es war eher wie ein Aufspringen verschiedener Knospen. Einerseits waren wir in das Space Age eingetreten, es gab den Wettlauf ins All, den Kalten Krieg, technologische Entwicklungen, die Mondlandung 1969. Dann gab es die Student:innenbewegung mit sehr vielen unterschiedlichen Facetten, Woodstock, die Entstehung alternativer Bewegungen, Versuche, durch Drogen das Bewusstsein zu erweitern. In Frankfurt hatte Claus Peymann 1966 am Theater am Turm die Experimenta mit Handkes “Publikumsbeschimpfung” begonnen, John Cage war bei den Darmstädter Ferienkursen gewesen – an verschiedensten Orten gab es Experimente im Geiste des Umsturzes und Aufbruchs. Wir wollten die Welt verändern.

Alexander, die Do-it-yourself-Haltung und intermediale Performances gab es auch in den frühen Achtzigern – und dass jemand mit einer Säge auf die Bühne geht, dürfte dir auch nicht fremd sein. Inwieweit war der Zodiak-Zirkel ein bewusster Einfluss auf die Berliner Musikszene der frühen Achtziger?

Alexander Hacke: So blauäugig und naiv, wie ich damals war, habe ich unsere Performances und Musik in den frühen Achtzigern als eine Entwicklung gesehen, die einzigartig war, die es vorher so nie gegeben hat. Erst im Laufe der Zeit habe ich festgestellt: Das Prinzip der Zweckentfremdung gab es schon einmal oder auch diese bestimmte Form von Humor und Ironie. Da wurde mir erst bewusst, welche Vorgeschichte das hatte. Der Ort Westberlin, diese abgeschlossene Enklave, in der eigene Regeln zu gelten schienen, war wichtig für die künstlerischen Entwicklungen. Man muss dazusagen, dass es damals viel stärker als heute eine Form von Lokalchauvinismus gab. Wir Berliner:innen galten als besonders dekadent, morbide und arrogant. All das ist vorteilhaft eingeflossen in das, was da entstanden ist. 

Was hat dich in erster Linie geprägt?

Alexander Hacke: Meine musikalische und künstlerische Sozialisation fand im Zensor-Plattenladen statt, den Burkhardt Seiler in der Belziger Straße in Schöneberg betrieb. Dort gab es Punk­rockplatten, aber ich entdeck­te auch Gruppen wie The Plastic People of the Universe aus der Tschechoslowakei oder The Nihilist Spasm Band aus Kanada, die sich 1965 gegründet hatten und mit Alltagsgegenständen Musik mach­ten. Sehr wichtig für mich war die Ausstellung “Für Augen und Ohren” in der Akademie der Künste im Jahr 1980. Die habe ich als 14-Jähriger bestimmt vier oder fünf Mal besucht. Dort stellten sie selbstgebaute Instrumente von Harry Partch aus oder “The Box with the Sound of its Own Making” von Robert Morris und Objekte von Laurie Anderson. Und auf eine Gegebenheit weise ich auch immer wieder hin: Damals gab es in Berlin fünf und anderswo in Westdeutschland drei Fernsehprogramme, die um Mitternacht Sendeschluss hatten. Danach musstest du dir etwas einfallen lassen, woran du dich erfreuen konntest.

Elke Lixfeld: Zu unserer Zeit gab es Radio Luxembourg, da haben wir Bill Haley, Bob Dylan und Donovan zum ersten Mal gehört. Der Radiomoderator Walter Bachauer vom RIAS war auch eine wichtige Figur, der hat uns Musik verständlich gemacht. Und er hat tolle Konzerte in der Akademie der Künste veranstaltet.

Alexander Hacke: In Westberlin gab es auch schon immer Ver­schmel­zungen zwischen den unterschiedlichen Kunstformen. Man hat nie getrennt zwischen Mu­si­ker:innen, Filme­ma­cher:in­nen und bildenden Künstler:innen, die Sparten haben sich immer vermischt. Auch die Politszene hatte ihren Platz in diesem Gemisch. Für den Untergrund ist die Reibung, die dadurch entsteht, essenziell. Reibung erzeugt Hitze erzeugt Energie. Es ist wichtig, dass die Themen von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus bearbeitet werden. 

Alfred Harth: Die Vermischung gab es in Frankfurt allerdings auch. Das hatte Westberlin nicht exklusiv.

“Für den Untergrund ist die Reibung essenziell. Reibung erzeugt Hitze erzeugt Energie.” (Alexander Hacke)

Zwischen dem Zodiak und den frühen Tagen des SO36 hatte sich Punk ereignet. Wenn man sich einen Auftritt von dir, Alexander, beim Atonal Festival 1982 anschaut, erkennt man: Da ist ein anderer Style, eine andere Energie. Was hat Punk bewirkt?

Alexander Hacke: Punk war als Idee und Haltung wichtig, von der Attitüde her war das für mich als Teenager eine Offenbarung. Aber musikalisch war es noch wichtiger, über Punk hinauszugehen. Man hat schnell festgestellt, dass auch Punk Rock’n’Roll-Musik ist. Klar, ein bisschen schneller und lauter gespielt, doch die Strukturen sind die gleichen: Strophe-Chorus-Strophe-Chorus. Das hat uns gelangweilt. In den Kreisen, in denen ich mich bewegte, war man eigentlich auch sehr stolz darauf, dass wir in Deutschland diese Krautrockgeschichte hatten, die eben nicht einfach die angloamerikanische Musik übernommen hat. Bands wie Neu! aus Düsseldorf, die den 1/1-Rhythmus spielten und niemals den Akkord innerhalb einer Nummer wechselten. Und Ton Steine Scherben waren mir wichtig. Ich habe die Scherben geliebt.

Alfred Harth: Die elektronische Szene in Berlin, also das, was man später Berliner Schule nannte, hat ja auch ganz wesentlich seinen Ursprung im Zodiak gehabt. Ich denke da an Tangerine Dream oder Ash Ra Tempel.

Andrea, in den frühen Neunzigern gab es dann Orte wie das Anorak im Ostteil der Stadt, aus dem später das ausland hervorging. Zwischen dem Zodiak und dem Anorak gibt es einige Parallelen: Es gibt wenig Bewahrtes und Archiviertes. Hat dich das eben Be­schriebene an die Szene im Anorak erinnert?

Andrea Neuman: Teils, teils. Im Anorak war es auf jeden Fall auch ziemlich wild. Dort wurde Musik gespielt, die sonst nirgendwo Platz hatte. Es war ein selbst organisierter Raum in einem besetzten Haus in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg. Der Anorak machte nach der Wende auf. Das Publikum dort war sehr gemischt, von Obdachlosen über Punks mit Hunden bis hin zu Leuten mit ganz konzentrierten, ästhetisch bizarren musikalischen und theatralen Ansätzen. Das alles ging dort durcheinander. Die Hunde liefen über die Bühne; die Leute im Publikum ploppten mit den Bierflaschen, wenn sie sich langweilten. Es war sehr bunt, sehr krass, superkaputt. Das Klo war im Winter zum Beispiel immer zugefroren. Aber zu der Zeit war völlig klar: Sonntags ging man in den Anorak. Der Ort hat auch die internationale Szene angezogen, die Sängerin und Komponistin Shelley Hirsch oder der Perkussionist und Performancekünstler David Moss traten da auf. Vom Zodiak habe ich nur mal gehört, dass Leute mitten im Raum Sex hatten. Das habe ich im Anorak nie erlebt.

“Berlin ist die Stadt der frei improvisierten Musik mit reduziertem Ansatz, das müssen die doch wissen!” (Andrea Neumann)

Gibt es auch von der Haltung und der Grundidee her Parallelen zu den Vorgängergenerationen?

Andrea Neuman: Auch wir waren ziemlich ignorant, auch wir haben geglaubt, wir erfänden gerade etwas völlig Neues. Wenn man aus Berlin kam, sagten die Leute oft zu einem: “Ah, Berlin, die Stadt des Tech­no”. Und ich dachte dann immer: Berlin ist die Stadt der frei improvisierten Musik mit reduziertem Ansatz, das müssen die doch wissen! Oder man wur­­de auf die Einstürzenden Neu­bau­ten angesprochen und inwieweit die einen geprägt hätten. Ehrlich gesagt waren die aber gar nicht so ein wichtiger Einfluss für mich. Diese Ignoranz ist vielleicht auch wichtig, um sich abzugrenzen. Wenn eine jüngere Generation auf den Plan tritt, dann wird oft erst mal abgewertet, was vorher war. Bei uns war das vor allem der energetische Free Jazz, bei dem es darum ging, immer lauter, schneller und krachiger zu spielen. Das haben wir abgelehnt. Wir sind auf Gegenkurs gegangen, indem wir die Stille zum Nonplusultra erhoben haben. Das war irgendwann eine ästhetische Entscheidung innerhalb dieser Szene, die auch Berliner Reduktionismus genannt wurde.

Alfred Harth: Essenziell ist, dass sich bei den Kreativen aller Zeiten solche Energien des Aufbegehrens zeigen. Ich finde es auch einleuchtend, dass ihr, Andrea, den Begriff “Echtzeitmusik” für diese Szene eingeführt habt und ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht habt. Dadurch habt ihr ja fast ein Genre gefestigt. Zumindest gibt der Begriff eine Richtung vor.

Wobei Echtzeitmusik wahrscheinlich eher Nicht-Genre, Post-Genre, Anti-Genre ist.

Andrea Neuman: Ich finde den Begriff auch problematisch. Dass wir ihn einführten, hatte ebenfalls mit einer Gegenbewegung zu tun. Denn improvisierte Musik hat man zu der Zeit als etwas abgetan, das aus dem Bauch kommt. Dem wollten wir – auch musiktheoretisch – etwas entgegensetzen. Gleichzeitig ist bis heute unklar, welche Musik unter diesen Begriff fällt und welche nicht.

Wie war das Verhältnis der alten Improv-/ Jazzszene der DDR zu den Echtzeitmusiker:innen der frühen Nachwendezeit?

Andrea Neuman: Die ältere Generation war sehr präsent, hatte aus meiner Perspektive das Sagen. Es war – wie wahrscheinlich häufig – für eine jüngere Generation nicht einfach, Gehör zu bekommen, ernst genommen zu werden. Gleichzeitig haben die neuen musikalischen Ansätze das Alte auch infrage gestellt. Es gab aber auch teilweise Neugier, gemeinsame Sessions und Konzerte.

“Die schlichte Tatsache, dass da ein Raum zur Ver­fügung gestellt wird und dass einem signalisiert wird: Hier kann alles passieren. Allein das erzeugt einen Magnetismus.” (Alfred Harth)

Mit Echtzeitmusik kann man jedoch, ähnlich wie mit den früh­eren Avantgardemusiken, kein Geld verdienen, oder?

Andrea Neuman: Geld ist ein wichtiger Punkt. Das Nicht-Kommerzielle war Teil der ganzen Ideologie. Bis heute ist das eine prekäre Szene, inzwischen lebt sie von Kulturförderung. In den Neunzigern war das anders. Es gab diese Freiräume im Osten, die nichts kosteten. Man konnte mit sehr wenig Geld seinen Lebensunterhalt bestreiten, ähnlich wie in den Achtzigern in Westberlin.

Alexander Hacke: Ich möchte an der Stelle mal eine Lanze brechen für den Untergrund. Es sollte allen klar sein, wie wichtig dieser radikale Untergrund für die Entwicklung von Kultur und Gesellschaft ist. Das Zodiak war totaler Untergrund, selbst wenn da vielleicht auch mal ein paar Hundert Leute vor der Tür standen. Es war eine Gegenbewegung. Ich finde es wichtig, dass auch die nächsten Generationen ermutigt werden, eigene radikale Wege zu gehen.

Elke Lixfeld: Im Zodiak waren anfangs alle Veranstaltungen kostenlos. Aber wir haben eben auch wenige Ausgaben gehabt. Wir haben auf Materielles nicht viel gegeben, gebrauchte Kleidung getragen, alte Möbel benutzt. Ich muss aber dazu sagen, dass ich die ganze Technik, die in den Räu­men stand, viel später immer noch abbezahlt habe. Das waren Fernseher, Geräte und Instrumente im Wert von 60.000 D-Mark. Ich habe immer Geld ins Zodiak reingesteckt, ohne mich hätte es das vielleicht gar nicht gegeben. Als Malerin hatte ich damals mehr Möglichkeiten, Geld zu verdienen, als die Musiker:innen. Erst in späten Tagen des Zodiak fing Hans-Joachim Roedelius an, etwas Eintritt zu nehmen, damit durch die Veranstaltungen zumindest ein bisschen Geld reinkam.

Andrea Neuman: Da möchte ich anmerken: Wenn man über das Zodiak liest, werden dort meist lauter Männernamen genannt. Die Musikgeschichtsschreibung ist oft sehr männlich. Bei uns im Anorak war die Szene auch männerlastig, die Frauen standen oft hinter der Theke. Die Männer haben frei rumexperimentiert, auch wenn sie kein Instrument spielen konnten; sie waren mutiger. Die Frauen dagegen sollten erst mal beweisen, was sie können. Der Anorak hat diesbezüglich einfach die Gesellschaft abgebildet. Da hat sich in den vergangenen 25 Jahren, in denen ich aktiv bin, enorm viel verändert.

Alfred Harth: Seit Ende der Sechziger arbeite ich mit der belgischen Künstlerin und Pianistin Nicole Van den Plas zusammen. Ich habe schon damals festgestellt, dass mit Frauen innerhalb eines frei improvisierenden Idioms ein ganz anderer Sound entstehen kann. Es kommen andere Parameter zum Vorschein. Wir spielten in einer Zeit zusammen, als es die Feminist Improvising Group mit Lindsay Cooper und Irène Schweizer noch lange nicht gab. Und die Wuppertaler Jazzkultur war eben ein reiner Männerclub, nicht selten mit Alkohol als Motor. Damit hatte ich als Mann damals auch Probleme, weil es hieß: Nur wenn du ein richtiger Trinker bist, bist du auch ein richtiger Mann. Das waren so verblödete oder verblödende Realitäten.

Wenn wir das Zodiak aus dem Jahr 2021 heraus betrachten: Was ist die prägende wichtige Idee, die bleibt?

Alexander Hacke: Die Zweckentfremdung. Also dass ein Raum wie ein Theater genutzt werden kann, dass da aber auch etwas anderes und möglicherweise weniger kommerziell Verwertbares stattfinden kann. Das sind wichtige Orte, an denen radikale, ungewöhnliche, aufregende Dinge passieren können. 

Andrea Neuman: Der Wert der Solidarität. Solidarität in dem Sinne, dass Leute so dringlich etwas wollen, dass sie sich zusammentun und für dieses Ziel hart arbeiten. Ich habe diese Solidarität in den Neunzigern erlebt, und ich sehe sie auch im Zodiak widergespiegelt. Die Musikerin und Kuratorin Steffi Weismann hat eines ihrer Kollektive Fernwärme genannt. Der Begriff passt gut. Es geht darum, dass man sich gegenseitig unterstützt, ohne als Erstes daran zu denken, was man selbst davon hat.

Elke Lixfeld: Ich antworte mal aus meiner persönlichen Warte: Ich habe meine Kreativität im Zodiak weiterentwickelt, weil ich dort meine Performances machen konnte. Und ich denke gern an die vielen Einflüsse und die tollen Menschen und Musiker:innen zurück, die ich kennengelernt habe. An Human Being, aber auch an Sven-Åke Johansson und Tangerine Dream, die sehr oft bei uns spielten.

Alfred Harth: Die Idee des Freiraums. Die schlichte Tatsache, dass da ein Raum zur Verfügung gestellt wird und dass einem signalisiert wird: Hier kann alles passieren. Allein das erzeugt einen Magnetismus. Da wollen die Leute hin, das spricht sich rum. Es ist ganz wichtig, dass so etwas kulturell erhalten bleibt. 

Elke Lixfeld, *1942, ist freie Künstlerin und Malerin. Sie hat mit der Gruppe Human Being im Zodiak das Programm kuratiert. Sie lebt in Berlin und La Palma.

Alfred Harth (auch: Alfred 23 Harth), *1949, ist Komponist, Experimentalmusiker und Multimediakünstler. Er lebt heute in Seoul.

Alexander Hacke, *1965, ist u.a. Bassist bei den Einstürzenden Neubauten, arbeitet als Solomusiker, gemeinsam mit seiner Frau Danielle de Picciotto und in vielen weiteren Projekten. Er lebt in Berlin.

Andrea Neumann, *1968, ist Komponistin und Musikerin. Sie hat Klavier an der Hochschule für Künste studiert und macht seit vielen Jahren experimentelle Musik mit dem Innenklavier (einem nur aus Resonanzboden und Saiten bestehenden Instrument). Sie ist Mitorganisatorin der Reihe “Labor Sonor”. Sie lebt in Berlin.

Der freie Autor und Journalist Jens Uthoff hat das Gespräch im Auftrag des HAU Hebbel am Ufer geführt und redaktionell bearbeitet. Er lebt in Berlin und schreibt u.a. für “taz. die tageszeitung”, “Jungle World”, “Musikexpress” und die “Literarische Welt”.

Foto: Zodiak Free Arts Lab (1967–1969), Hallesches Ufer 32, Berlin (© Detlef Krenz)