Christiane Rösinger

Porträt

Wer mit Christiane Rösinger in Kreuzberg unterwegs ist, wird oft angehalten. Von Fans, die sich für unvergessliche Songzeilen wie “Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!” bedanken. Von Miet-Aktivist*innen, die sich mit ihr über neueste Gentrification-Prozesse austauschen. Von Türsteher*innen, die sie in ihren Club einladen möchten. Oder von alten Szene-Bekannten, die einfach wissen wollen, was in letzter Zeit so los war. Seit fast vier Jahrzehnten residiert die Musikerin, Autorin und Theatermacherin im alten Westberliner Bezirk SO 36, und verkörpert dabei gerade als Zugezogene den Geist der wahrscheinlich letzten ortgewordenen linken Utopie Deutschlands wie kein*e Andere*r. Mit beißender Ironie, literaturgefütterter Melancholie und einer ordentlichen Packung biografisch wie politisch grundiertem Widerstandsgeist packt Christiane Rösinger alle heißen Eisen von Mieter*innenrechten über Klassenkampf und Cishetero-Normen bis zu feministischen Utopien in ihren Songs, Texten und Bühneninszenierungen an. Dass die am Ende alle zu großer, bittersüßer Unterhaltung werden, ist nicht nur ihrem badischen Schalk geschuldet, den sie sich über all die Jahre als Berliner Szenegröße erhalten hat, sondern vor allem ihrem Format als grandiose Entertainerin.

Schon als Kind stand die Bauerntochter aus einem kleinen Dorf am Rande des Schwarzwalds mit der Karotte in der Hand auf dem Feld – und schmetterte “Downtown” in das orangene Mikrofon. Bereits damals war klar, dass weder der elterliche Acker noch das beschauliche Hügelsheim als Forum weltläufig genug waren, um ihr die geeignete Bühne für ihre Performancequalitäten zu bieten. Nach einer Buchhändler*innenlehre im benachbarten Rastatt zog Rösinger als alleinerziehende junge Mutter Mitte der 1980er Jahre dahin, wo es Musik, Licht und Leben gab: nach Kreuzberg. Neben ihrem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft machte sie sich schnell in der alternativen Musikszene rund um den Veranstaltungsort Fischbüro einen Namen. 1988 gründete sie, gemeinsam mit der ebenfalls aus Baden stammenden Almut Klotz und Funny van Dannen die Band Lassie Singers. Jahre bevor deutschsprachiger Pop von männlichen Bands unter dem Label Hamburger Schule von der Kritik als Novum bejubelt wurden, kreierte Rösinger mit den Lassie Singers das Genre des ironischen, diskursfreudigen Indie-Schrammelpops mit deutschen Texten und süchtig machenden Hooklines. Zeilen wie “Mein zukünftiger Exfreund” oder “Liebe wird oft überbewertet” der Band, die trotz oder vermutlich wegen ihrer Verträge mit Major-Plattenlabels im Musikjournalismus eher vernachlässigt wurde, gehören heute genauso zum Kanon deutschsprachiger Poplyrics, wie sie in Alltagsgesprächen fallen. Nach dem Ende der Lassie Singers 1998 gründete Rösinger die Band Britta, deren Songs immer noch ironisch pointiert, aber insgesamt schwermütiger waren, sowie das feministische Musiklabel Flittchen Records. In den 00er Jahren widmete sie sich stärker journalistischen Texten und veröffentlichte 2008 das erste ihrer bis dato vier Bücher, ab den 10er Jahren trat sie gemeinsam mit Andreas Spechtl von Ja, Panik als Solomusikerin hervor. Mit dem 2016 veröffentlichten Song “Eigentumswohnung” legte sie die Blaupause für ihre erste Regiearbeit für das HAU Hebbel am Ufer: Der Song, der die Ungleichheit von Erb*innen und Mittellosen sowie die zunehmende Verdrängung durch Gentrifizierung gewohnt bissig thematisiert, polierte den Begriff “Klassenhass”, der bis dahin von neoliberalen Individualisierungsrhetoriken erfolgreich als Ausdruck einer “Neiddebatte” geschmäht worden war, zu glänzender neuer Kampfgröße auf. Nach dem Erfolg des Musicals zur Wohnungsfrage “Stadt unter Einfluss”, für das Rösinger 2019 mit Mietrechtsaktivist*innen zusammenarbeitete, geht ihr feministisches Singspiel “Planet Egalia” mit einem Blick auf vergangene Zukunftsutopien zeitgenössischen Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit nach. Wie stets bei Rösinger wird hier, mit einer diversen Community aus Musiker*innen und Performer*innen auf der Bühne, nicht trocken belehrt, sondern glänzend unterhalten – Lernmehrwert inklusive.

Sonja Eismann

Biografie

Die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger kam 1985 nach Berlin und gründete hier die Bands Lassie Singers und Britta. Die Themen ihrer Bücher und Lieder sind Paar- und Kapitalismuskritik, prekäres Leben vs. Boheme-Entwürfe sowie praktischer Feminismus. Die Stadt Berlin ist bei ihr Romanschauplatz und Kolumnenstoff und hat Lied- und Theatertexte inspiriert. Neben dem Musikmachen und jahrelanger journalistischer Tätigkeit war es Rösinger immer auch wichtig, vor Ort Strukturen für musikalische Nachwuchsförderung zu schaffen und dem männerdominierten Musikbetrieb etwas entgegenzusetzen. So organisierte sie in den 90ern die legendäre Veranstaltungsreihe “Flittchenbar” in der Maria am Ostbahnhof und ließ diese nach langer Pause im Südblock am Kottbusser Tor wieder auferstehen. Durch die künstlerische und persönliche Verankerung in der Stadt drängte sich die Krise des Wohnens für sie geradezu auf und fand auf dem 2017 erschienenen Album “Lieder ohne Leiden” mit dem Song “Eigentumswohnung” über Wohnen und Klassenverhältnisse einen Ausdruck.

2019 entstand auf Einladung des HAU Hebbel am Ufer Rösingers erste Regiearbeit. Die musikalische Bühnenproduktion “Stadt unter Einfluss – das Musical zur Wohnungsfrage” brachte das HAU im Rahmen des Festivals “Berlin bleibt! Stadt, Kunst, Zukunft” heraus. Sie wurde als “Volkstheater im besten Sinne” vom Publikum und den Medien gefeiert. An diese erfolgreiche Zusammenarbeit anknüpfend, entwickelt Christiane Rösinger 2021 die zweite musikalische Bühnenproduktion am HAU Hebbel am Ufer: “Planet Egalia – Ein feministisches Singspiel” und 2023 “Die große Klassenrevue”.

www.christiane-roesinger.de