Ein Teil der ausgewählten Filme gruppiert sich um die Frage wie Arbeit auf den Menschen wirkt und umgekehrt, wie darstellbar sie im Film überhaupt ist und welche Bilder von Arbeit und damit auch von gesellschaftlicher Realität sich im und durch Film manifestieren. Einerseits repräsentiert durch die realen Arbeitsbedingungen hinter der Kamera, andererseits durch die dargestellte Thematik vor der Kamera, teilweise sowohl als auch. Ein anderer Teil der Filme widmet sich Visionen und Obsessionen, Alternativen, Abwegen und Abgründen.

22.11. / HAU2
 

17:00 Uhr

Warnung vor einer heiligen Nutte

Regie: R. W. Fassbinder, BRD 1970, 99', Spielfilm, dt/en OmeU

FREIgestellt

Regie: C. Strigel, D 2012, 90', Dokumentarfilm, dt OF

19:00 Uhr

Ende einer Kommune

Regie: J. v. Mengershausen, BRD 1970, 50', s/w, Dokumentarfilm, dt OF

The Battle of Orgreave

Regie: M. Figgis, UK 2001, 61', Dokumentarfilm, en OF

20:15 Uhr

From Marks and Spencer to Marx and Engels

Regie: amber films, DDR/UK 1988, 58', Dokumentarfilm, dt/en OmeU

20:30 Uhr

PETRA

Regie: hangover ltd.*, D 2003, 73', DV, Spielfim, dt OmeU

21:30 Uhr

Mit Ikea nach Moskau

Regie: M. Chauvistré, M. Pucitta, D 2000, 90', Dokumentarfilm, dt/russ OmeU

22:00 Uhr

KISS

Regie: Andy Warhol, USA 1963, 50', experimenteller Stummfilm. (Filmrolle 12')


Über die Filme

Warnung vor einer Heiligen Nutte

Regie: R.W. Fassbinder, BRD 1970, 99', Spielfilm, dt./en., OmeU
 

In einem Hotel am Meer in Spanien wartet ein Filmteam auf den Regisseur, den Star und auf das Filmmaterial. Währenddessen entwickelt sich eine gereizte Stimmung zwischen Schauspielern und Technikern, in die sich Konkurrenzängste, Langeweile und Eitelkeiten mischen. Als der despotische Regisseur endlich eintrifft, nutzt er das organisatorische wie zwischenmenschliche Chaos rücksichtslos für eigene Zwecke.


FREIgestellt

Regie: C. Strigel, D 2012, 90', Dokumentarfilm, dt OF
 

Willkommen im Paradies – Seit der Vertreibung aus dem Paradies arbeitet die Menschheit daran, den paradiesischen Urzustand eines Überflusses ohne Arbeit zu erreichen. Heute, zu Beginn der postindustriellen Ära, droht die Vision zunehmend Wirklichkeit zu werden. Eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit auszugehen droht, treibt seltsame Blüten. Während sich die Einen auf den Ruinen vergangener Industrialisierung Kletterkurse gönnen, müssen Andere in strafvollzugsähnlichen Maßnahmen das Arbeiten ohne Arbeit trainieren. Der Film begibt sich auf die Reise in eine Zukunft, die schon längst begonnen hat: das Ende der Arbeitsgesellschaft. Doch jedes Ende ist auch Ausgangspunkt für Ideen, Visionen und reale Modellversuche.


Ende einer Kommune

Regie: J. v. Mengershausen, BRD 1970, 50', s/w, Dokumentarfilm, dt OF
 

Joachim von Mengershausen über seinen Film:

"Ende einer Kommune ist ja schon ein recht alter Film, als Fassbinder das Münchner Kellertheater Actiontheater zu seiner Bühne machte und gleichzeitig Liebe ist kälter als der Tod zu aller Überraschung ins Wettbewerbsprogramm der Berlinale 1969 aufgenommen wurde.

Mit einem 2m langen Kameramann, der mir zusammen mit Kamera und 16mm Filmmaterial vom SDR zur Verfügung gestellt worden war, drehten wir im Juni/Juli in München, Berlin und Bremen die Auftritte der Münchner Schauspielertruppe, die sich jetzt antiteater nannte.

Man spielte im Studio der Münchner Kammerspiele, dann im Forumtheater am Berliner Kurfürstendamm Paradise Now, ein Stück von Fassbinder mit bescheidenem Erfolg und reiste nach einer fulminanten Uraufführung von Liebe ist kälter als der Tod  im Zoopalast weiter nach Bremen zu Intendant Kurt Hübner, wo ein dortiges Ensemble des Stadttheaters Fassbinders Bearbeitung von Goldonis Caféhaus probte. Nachdem Fassbinder und seine Schauspieler eine halbe Stunde lang den Proben des Bremer Ensembles zugesehen hatten, ging Fassbinder zum Intendanten und bot an, mit seinen Leuten die Uraufführung zu übernehmen. Überrascht und zugleich fasziniert gab Hübner seine Einwilligung. Das in etwa erzählt der Film ohne allen Kommentar. Mich faszinierte damals der Gedanke, aus dem Geist der Kommune Theater zu machen, und wie da einer kam und ohne allen Widerstand bei den Beteiligten die ganze Unternehmung einfach umdrehen und auf den Kopf stellen konnte. Der damalige Freiheitsgedanke verwandelte sich also schnell zurück ins autoritäre Denken und Handeln."


The Battle of Orgreave

Regie: Mike Figgis / Jeremy Deller, UK 2001, 61', Dokumentarfilm, en., OF
 

Im Jahr 1984 ging die nationale Gewerkschaft der Minenarbeiter in Streik. Die Auseinandersetzung dauerte länger als ein Jahr und war der am bittertesten geführte Streik seit dem Generalstreik von 1926 und bezeichnet den Wendepunkt in der Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Gewerkschaftsbewegung. Am 18. Juni desselben Jahres wurde der Verkokungsbetrieb von Orgreave zum Schauplatz der gewaltsamsten Konfrontationen des Streiks. Es begann auf einem Feld nahe der Fabrik und gipfelte in einem Kavallerieangriff auf die Ortschaft Orgreave. Jeremy Dellers The Battle of Orgreave, siebzehn Jahre später in Szene gesetzt, war ein spektakuläres Reenactment dessen, was an diesem Tag geschehen war. Es wurde von Howard Gilles orchestriert, dem ehemaligem Direktor  des Eventprogramms von English Heritage und Experten für historische Reenactments. Mehr als 800 Leute, viele davon ehemalige Minenarbeiter und einige ehemalige Polizisten, beteiligten sich am Reenactment und durchlebten noch mal die Ereignisse von 1984, von denen sie selbst Teil gewesen waren. Andere Beteiligte wurden aus Gesellschaften für Reenactments historischer Schlachten aus ganz England hinzugezogen. The Battle of Orgreave wurde von Mike Figgis für Artangel Media und Channel 4 gefilmt und am Sonntag den 20. Oktober 2002 ausgestrahlt. Der Film nutzt Gegenschnitte von dramatischen Still-Fotos der Zusammenstöße von 1984 und dem Filmmaterial, deren Wiederaufführung von 2001 gemeinsam mit bewegenden und beeindruckenden Zeugenaussagen, um die komplizierten Verwicklungen dieser bitteren Auseinandersetzung zu entwirren.    
 

Das Projekt wurde unterstützt durch Arts Council England, Special Angels und The Company of Angels. Der Film The Battle of Orgreave  ist Teil von The Artangel Collection.


From Marks and Spencers to Marx and Engels

Regie: Amber Films, DDR/UK 1988, 58', Dokumentarfilm, dt./en., OmeU
 

Oktober 1987, Rostock, Deutsche Demokratische Republik. Eine augenscheinlich unkonventionelle Gruppe von Filmemachern aus dem Westen hat für sich den Zugang zum kommunistischen Staat verhandelt, um an ihrem jüngsten Projekt, einer Geschichte über den Alltag im Osten, zu arbeiten. Aber sie sind nicht gekommen um einfache politische Aussagen über die beiden Seiten des Kalten Krieges zu machen. Ihre Philosophie, alles für sich selbst sprechen zu lassen, wird in einer Gesellschaft, in der jede Bewegung einer politischen Interpretation bedarf, auf die Probe gestellt werden.

Als Amber Films den Film From Marks and Spencers to Marx and Engels produzierte, bestanden sie auf einem Film ohne Kommentare und forderten von der DEFA, der Staatlichen Filmgesellschaft (der DDR) ungehinderten Zugang zu zwei Gruppen lokaler Arbeiter_innen. Eine davon war eine Frauenbrigade von Kranführerinnen der lokalen, staatseigenen Warnowwerft, die andere Gruppe waren Mitglieder und Eigentümer_innen der lokalen, unabhängigen Fischereikooperative, der  Fischereiproduktionsgenossenschaft Warnemünde, oder FPG. Am Ende einigten sich Amber und die DDR Behörden darauf, dem Filmteam der DEFA im Gegenzug zu erlauben, im Sinne einer anfänglich gedachten Gemeinschaftsarbeit Material über Ambers Heimatstadt, Newcastle zu filmen. In einer Rückkehr zu den Vorstellungen zum "real existierenden Sozialismus" der 50er Jahre waren sie sich sicher, die Vollbeschäftigung und umfassende soziale Versorgung in der DDR würden die fatale Arbeitslosigkeit und das kollabierende Sozialgefüge Nordenglands unter Margaret Thatcher unschwer überstrahlen. Die sich stark voneinander unterscheidenden Ansätze der zwei Filme machten ein gemeinsames Unternehmen aber unmöglich. Letztendlich wurden zwei aufeinanderfolgende Filme gemacht; einer als unkommentierter Blick durch ein Fenster auf die Welt zweier Gruppen Ostdeutscher Arbeiter_innen, der andere, ein Portrait über Tyneside mit einem Kommentar, der eine klare politische Lektion über den Kapitalismus vermittelte. Als die Filme in Großbritannien von Channel 4 ausgestrahlt wurden und in der DDR durch die Kinos des Landes tourten, begann sich 1988 mit dem beginnenden Exodus über Ungarn die Stimmung in der DDR aufzuheizen. Die Behörden wurden wegen des Films von Amber nervös. Eine angekündigte Vorführung in Schwerin wurde in letzter Minute abgesagt und stattdessen der DEFA Film gezeigt, was eine Gruppe von Bauernlehrlingen, die zur Vorführung gekommen waren, in Zorn geraten ließ. Der Zeit entsprechend gab es eine Explosion von Wortgefechten über die Hintergründe des ganzen Vorgangs.


PETRA

Regie: hangover ltd.*, D 2003, 73', Spielfim, dt OmeU

 

"…Weißt du was, du schläfst und bist im Fieberwahn, im Fieberwahnsinn, im totalen Fieberdilemma und du hast einen Fiebertraum. Und dann hast du irgendwelche erotischen Fieberfantasien, irgendwas feucht halt, du weißt worauf ich hinaus will, aber wirklich im Fieberwahnsinn, so muss es auch kommen, aus dir raus sprudeln…" Petra ist Künstlerin. Ein manischer Workaholic, ein Leopard, ein Raubtier. Unfähig, sich anders als über ihre Arbeit mitzuteilen, inszeniert sie Teddy, Kim und Hannah zu jeder Tages- und Nachtzeit. In der hermetischen Welt ihrer Wohnung versucht sie, ihre Ideen und Obsessionen umzusetzen. PETRA ist der zweite Film von hangover ltd.*.


Mit Ikea nach Moskau

Regie: Michael Chauvistré & Miriam Pucitta, D 2000, 90', Dokumentarfilm, dt./russ., OmeU

 

Im Moskauer Vorort Chimki wurde am 22. März 2000 das erste russische IKEA-Haus eröffnet.

Manuela und Ulf, eine Frau aus dem Osten und ein Mann aus dem Westen, beide Mitarbeiter des schwedischen Möbelgiganten, haben sich bei IKEA in Berlin-Spandau ineinander verliebt. Sie verließen ihre Familien und beschlossen, gemeinsam etwas Neues zu beginnen. So meldeten sie sich für den Aufbau von IKEA in Moskau. Das ganze Leben des Paares ist von IKEA durchdrungen. Ihre Freunde sind gleichzeitig ihre Kollegen, die Moskauer Wohnung ist fast vollständig mit IKEA-Möbeln eingerichtet, die Gespräche am Abend kreisen um IKEA. Die Philosophie des Möbelhauses, ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der IKEA-Familiy zu schaffen, drückt sich in einer melancholischen Ballade aus, die zu Hause oder im Unternehmen gemeinsam gesungen wird.

KISS

Regie: Andy Warhol, USA 1963, 50', experimenteller Stummfilm
 

Die drei KISS Filme, die wir hier präsentieren, sind die ersten Filme, die Andy Warhol (1963) produziert hat und die in dieser Version auf dem New Yorker Filmfestival 1964 (!!!) präsentiert wurden. Das, was Henry Geldzahler, damals Kurator für moderne Kunst am Metropoliten Museum in New York und ein enger Freund von Andy Warhol und David Hockney, zu Sleep von Warhol geschrieben hatte, trifft den Kern der frühen Still-Filme von Warhol präzise: wie in dem Stück Variation von Eric Satie, in dem ein 20-Sekundenstück 18 Stunden lang wiederholt wird, wird uns klar, dass je mehr Inhalt, Bewegung, etc. im Film ausgeschaltet wird, um so größer wird die Konzentration auf das Wesentliche. Die kleinste Variation wird zu einem Ereignis auf das wir uns pur konzentrieren können. So ist der Film nicht so sehr ein Film über Küssen, er ist vielmehr ein Film über die Belastbarkeit des Filmzuschauers. Der Film ist so reduziert, dass er Film als bewegtes Bild ad absurdum führt. Und heute könnte man hinzufügen, wenn man die ganze Serie der KISS-Filme vor Augen hat, dass der damalige zusätzliche subversive Inhalt – hetero, schwules, lesbisches Kusspärchen – weswegen die Filme einmal ein Skandal waren, heute seine Bedeutung verloren hat und so nur noch in diesem Kern aktueller denn je sind.
 

Termine

Vergangen
Sa 22.11.2014, 17:00 / HAU2

Spielorte

HAU2
Hallesches Ufer 34, 10963 Berlin

Zwei markierte Parkplätze vor dem Haus vorhanden. Barrierefreie Sanitäranlagen vorhanden. Es stehen vier Relaxed Seats in der ersten Reihe des HAU2 zur Verfügung. Auch Tickets für Rollstuhlfahrer*innen und Begleitpersonen sind über das Ticketingsystem buchbar. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an unser Ticketing- & Service-Team unter +49 (0)30 259004-27 oder per E-Mail an tickets@hebbel-am-ufer.de.

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Text von Paul B. Preciado

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