Rimini Protokoll (Helgard Haug) & Theater HORA

Der kaukasische Kreidekreis

Nach Bertolt Brecht
Musik von Barbara Morgenstern 

  • Theater
Deutsch /  Mit englischen Übertiteln /  Schweizerdeutsch /  ca. 120 Min.
Drei Personen stehen auf der Bühne in einer Reihe. Die Person in der Mitte ist zwischen den anderen hin- und hergerissen. Im Hintergrund sind die Worte „zu ihr oder zu ihr“ projiziert.
Fotografie einer Bühnensituation. Zwei Musiker*innen begleiten eine Szene mit Kontrabass und Percussion. Eine Person sitzt mit einem Kissen auf dem Boden, die andere Person schaut zu ihr herüber. Auf dem Bühnenboden sind einige Quader verteilt.
Im Vordergrund spielt eine Person mit einem Schlägel auf eine kleine Trommel. Im Hintergrund ruht eine Person mit einem Kissen auf dem Boden.
Eine Person wirbelt in einem ausgestellten Quadrat eine Fahne. Diese Person trägt Repliken eines Cowboykostüms. Links und recht von ihr sind zwei weitere Personen, die die Performance beobachten und Blicken kommentieren.
Eine Person liegt seitlich in dem ausgestellten Quadrat, um sie herum ist ein Kreis mit Kreide gezogen. Eine Person kommt mit erhobenen Armen auf sie zu. Im Hintergrund sitzt eine weitere Person auf einem Quader und beobachtet die Szene.

“Gut, ich mach die Probe noch einmal, dass ich’s endgültig hab”, sagt der Richter Azdak, bevor er das Kind ein zweites Mal in den Kreidekreis bittet und die beiden Mütter ein zweites Mal auffordert, zu beweisen, welche die wahre sei. — Soweit ist das Stück bekannt. Eine Sage, “eine sehr alte”. Auch der Ausgang dieser Probe ist bekannt: Der “mütterlichen”, nicht der “amtlichen” Frau wird das Kind zugesprochen.

Was aber, wenn dem Kind die Wahl übertragen wird? Zwei Mütter bieten sich an, konkurrieren um einen Job, einen Titel, eine Beziehung, eine Aufgabe, einen Nutzen — für welche soll das Kind sich entscheiden? Für eine, die ihr eigenes Kind vergessen hat, oder eine, die das Kind zu lange angeschaut hat, um es wieder vergessen zu können? Für eine, die dem Kind jeden Wunsch erfüllen kann, oder für die andere, der es kaum gelingt, ein paar Tröpfchen Milch zu besorgen? Für die, die sich in Sicherheit zu bringen versteht, oder für die, die sich nicht anders zu helfen wusste und auf der Flucht einen Menschen erschlug? Für eine, die sich kümmert, oder für eine, die weiß, wie man sich bekümmern lässt?

Und war’s das schon? Oder gibt es nicht noch mehr Optionen? Wer steht hier noch zur Wahl? Der Richter Azdak, der Recht spricht, obwohl er sich selbst angeklagt hat und eigentlich Dorfschreiber ist? Ein Anwalt, der alles tut, um seiner Klientin zu ihrem Recht zu verhelfen? Panzerreiter, die ihr Leben riskieren, um ihre Pflicht zu erfüllen? Ein verliebter Soldat, der nicht glauben will, dass Veränderungen eintreten können? Die, die Altes bewahren wollen, oder die, die das Neue wollen? Die, die besitzen wollen, oder die, die loslassen können? Und das Publikum — wäre das eine Option? Das ist ja schließlich auch anwesend. Wem sollte sich das Kind anvertrauen? Wer wird zum Vorbild?
Die Spieler*innen des Theater HORA bringen ihre eigenen Regeln mit ein. Neue Regeln müssen gemeinsam erfunden werden.

Lässt sich die “alte Sage” durch Performer*innen erzählen, die wahrscheinlich nie ein Kind haben werden und auf die Fürsorge anderer angewiesen sind? Über das Kinderkriegen nachdenken. Über das Kinderhaben nachdenken. Über das Kinderverlieren nachdenken. Dem Kindsein nachspüren. Eine Antwort als Frage lesen. Einem Manifest ein Fragezeichen anheften. Denken, was nicht gesagt wird, hören, was nur gedacht wird. Weitermachen. Klären, was unbedingt ausprobiert werden möchte. Und was auf keinen Fall geschehen soll. Probieren von Rhythmusmotiven und Tonfolgen, Vertauschen der Rollen, die Perkussionistin Minhye Ko und die Performer*innen entscheiden lassen, was von wem gespielt wird. 

Überlegen, wie es ist auf der Flucht. Überlegen, was zurückgelassen werden wird. Überlegen, wie sich das anfühlen müsste, im Exil. Überlegen, wie ein Neuanfang eine Chance ist. Merken, wie sich alles verändert, wenn der Blick darauf ruht. Sehen, wie Worte auf einen fruchtbaren Boden fallen.
Gut, wir machen die Probe noch mal.

Team

Mit: Remo Beuggert, Robin Gilly, Simone Gisler, Minhye Ko, Tiziana Pagliaro, Simon Stuber / Konzept, Textfassung & Regie: Rimini Protokoll, Helgard Haug / Komposition: Barbara Morgenstern / Bühne: Laura Knüsel / Video- & Lichtdesign, Kinetik: Marc Jungreithmeier / Kostüme: Christine Ruynat / Sounddesign: Rozenn Lièvre / Dramaturgie: Ivna Žic / Marcel Bugiel / Theaterpädagogik: Magdalena Neuhaus / Technische Leitung: Patrick Tucholski / Produktionsleitung: Maitén Arns / Produktionsleitung Salzburger Festspiele: Sven Neumann / Produktionsleitung Theater HORA: Jörg Schwahlen / Gesamtleitung Theater HORA: Curdin Casutt / Tourmanagement: Louise Stölting / Regieassistenz: Clara Bender / Theaterpädagogik Endproben: Svenja Koch, Noah Beeler

Termine

Vergangen
  • Do 26.10.2023, 19:30 / HAU1
  • Fr 27.10.2023, 19:30 / HAU1
  • Sa 28.10.2023, 19:30 / HAU1
Hinweis:

Im Anschluss an die Vorstellung am 27.10.: Artist Talk mit Anja Quickert

Credits

Produktion: Salzburger Festspiele, Rimini Apparat, Theater HORA. Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer, Theater Winterthur, Staatstheater Mainz / Grenzenlos Kultur Theaterfestival. Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

 

Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag AG Berlin.

Spielorte

HAU1
Stresemannstraße 29, 10963 Berlin

Zwei markierte Parkplätze vor dem Haus vorhanden. Zugang zum Parkett über separaten Eingang mit Lift möglich. Barrierefreie Sanitäranlagen vorhanden. Tickets für Rollstuhlfahrer*innen und Begleitpersonen sind über das Ticketingsystem buchbar. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an unser Ticketing- & Service-Team unter +49 (0)30 259004-27 oder per E-Mail an tickets@hebbel-am-ufer.de.

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